Exodus der Handwerker aus der Innenstadt
Wer zentral wohnt und ums Eck einen Schreiner, Elektriker oder Maler sucht, der tut sich heutzutage schwer. Hier erzählt ein Betroffener, was viele kleinere Betriebe aus der City vertrieben hat
Früher, da hat Thomas Liebig ein halbfertiges Möbelstück auf den Handkarren geladen und ist durch die Höfe von der Aventinstraße zum Schreiner Kruse in die Baaderstraße damit gefahren. Kruse hatte eine Zylinderschleifmaschine, Liebig eine Kantenanleimmaschine. Die Nachbarn haben sich ausgeholfen. So war das.
Jetzt verkauft Kruse Anzeigen für ein großes Branchenbuch. Die Schreinerei musste er aufgeben. Thomas Liebig hat seine Werkstatt aufgeben müssen. Das aber wissen die wenigsten seiner Kunden. 1986 hat Thomas Liebig in der Aventinstraße 1 eine 400 Quadratmeter große Werkstatt gemietet. Rund dreißig Schreiner hat er hier bis zur Meisterprüfung gebracht.
„Das waren noch andere Zeiten. Da hat der Werkstattofen gebollert, und nach Feierabend haben wir auf der Hobelbank ein Bier getrunken. Das kann sich heute keiner mehr leisten“, sagt Liebig. 1997 eröffnet er nebenan, in der Aventinstraße 3, ein Beratungs-Studio. Mit den Handwerkern um den Gärtnerplatz arbeitete Thomas Liebig eng zusammen. Schlosser, Trockenbauer, Elektriker, Maler, Polierer, Metallbauer: Alle um’s Eck, große Aufträge stemmten sie gemeinsam.
Diese Nachbarschaft gibt es nicht mehr. Dort, wo früher der Schlossermeister war, lebt heute ein italienisches Pärchen. Thomas Liebig hat ihnen ihr Design-Badezimmer eingerichtet. „Sehr nette Leute, die mussten auch nicht nach dem Geld schauen.“, sagt Liebig. Aber ein Schlosser in der Nachbarschaft wäre ihm lieber.
Wenn was gefehlt hat in der Schreinerei, ist Thomas Liebig früher an den Gärtnerplatz geradelt zum Handwerkerbedarf Jugan. Heute werden dort teure Schuhe verkauft. „Wir waren sechs, sieben Schreiner im Viertel. Aber seitdem alle weg mussten, lohnt sich auch ein Handwerker-Fachgeschäft nicht mehr“, sagt Liebig. Dort, wo früher Handwerker gearbeitet haben, sind jetzt teure Wohnungen. Die Handwerker, die sie renovieren, sind oft nicht aus München. „Da stehen Autos mit Kennzeichen aus Dresden, Leipzig oder aus dem Ausland“, erzählt Liebig.
Vor fünf Jahren schloss Thomas Liebig seine Werkstatt. Sie war nicht mehr rentabel. Jetzt hat er den Mietvertrag für sein Studio in der Aventinstraße bis 2014 unterschrieben. 200 Euro mehr muss er im Monat zahlen. Ob er sich das in zwei Jahren noch leisten kann, weiß Thomas Liebig nicht.
So wie ihm geht es vielen Handwerkern in München. Zwar ist die Zahl der Handwerksbetriebe in den vergangenen zehn Jahren leicht angestiegen. Doch das liegt daran, dass 2004 für über 50 Berufe die Meisterpflicht entfallen ist und jeder einen Betrieb eröffnen kann. Die mit Meisterpflicht verschwinden über die Jahre mehr und mehr. Heute gibt es 13 Prozent weniger Schreiner als vor zehn Jahren, und genauso rückläufig sind die Elektrotechniker.
Bei Maurern und Betonbauern sind es sogar Minus dreißig Prozent. Wer seine Werkstatt in der Innenstadt aufgeben muss und an den Stadtrand zieht, wird von der Statistik nicht erfasst. Thomas Liebig hatte die rettende Idee: In seinem Studio in der Aventinstraße 3 berät er die Kunden und plant ihre Möbel. Den Auftrag gibt er dann an spezialisierte Betriebe weiter. Wenn die Küche kommt, baut er sie ein – und wenn es ein großer Auftrag ist, arbeitet er mit Subunternehmer. Seine 50 Zulieferer kennt er persönlich – und weiß so immer möglichst genau, wer den Auftrag am besten erledigen kann.
Sein Lieblingsprodukt: die „Relax-Betten“ aus Salzburg. Die Massivholzbetten sind aus Zirbenholz und Naturmaterialien mit einem Tellerfedersystem, das sich dem Rücken anpasst. So liegt die Wirbelsäule immer gerade. Das hätte Thomas Liebig auch in seiner alten Werkstatt vermutlich nicht besser machen können.
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