Ermittlungsverfahren in München: Täterin oder Opfer? Mit 16 schon Trickbetrügerin

München - Kriminalität besteht aus zwei wesentlichen Komponenten. Es gibt Täter und es gibt Opfer. Das ist auch im Strafverfahren 380 Js 142887/20 der Staatsanwaltschaft München I so. Hinter diesem rechtlichen Handlungsrahmen, in dem es um Bandenkriminalität und skrupellose Abzocke alter Menschen geht, verbirgt sich aber auch noch eine ganz andere Geschichte. Hier ist die Grenze zwischen Täter und Opfer nicht so einfach zu ziehen.
Auch ihr Großvater sitzt hinter Gittern
Vor einem Jahr wurde Tiffany, damals 16 Jahre alt, an der deutsch-tschechischen Grenze bei der Einreise nach Deutschland festgenommen und sitzt seitdem in U-Haft. Auch ihre beiden Begleiter kamen hinter Gittern, darunter ihr Großvater (57).
Alle drei gehören nach Einschätzung der Ermittler zu einer tschechischen Bande, von deren Mitgliedern viele untereinander verwandt und verschwägert sind. Der Kopf der Gang und ein weiteres Führungsmitglied sitzen in Tschechien in Haft. Gegen sie und andere Mitglieder der Bande laufen diverse Ermittlungs- und Strafverfahren.
Bandenmitglied erschleicht sich Vertrauen alter Menschen
Das zentrale "Geschäftsmodell", das auch in München zur Anwendung kam, funktionierte den Ermittlungen zufolge nach einem genauen Plan und festgelegten Rollen. Ein Bandenmitglied erschlich sich mit abenteuerlichen Geschichten am Telefon das Vertrauen alter Menschen und überredete sie dazu, große Bargeldbeträge zur Verfügung zu stellen. Andere Bandenmitglieder vor Ort holten dann das Geld ab. Tiffany war so eine Geldbotin.
In München stahlen sie in einem Fall 16.000 Euro, in einem anderen 25.000
In München erleichterte die Bande einen 67-jährigen Rentner und eine 85-jährige Seniorin um ihre gesamten Ersparnisse. 16.000 Euro in einem Fall, 25.000 im anderen. Dazu waren das Mädchen, ihr Großvater und ein weiterer Täter aus Tschechien angereist - und gleich wieder verschwunden.
Als die Drei im Mai letztes Jahr dann wieder einreisen wollten, wurden sie festgenommen und sitzen seitdem in U-Haft. Gegen sie läuft seitens der Münchner Staatsanwaltschaft noch ein abgetrenntes Verfahren, in dem es um drei weitere Betrugsfälle mit betagten Menschen geht.
"Bei ihr verschwimmt die Grenze von Täter zu Opfer."
Die besondere Skrupellosigkeit, die hinter dieser Art von Abzocke betagter Menschen steckt, ist auch für Rechtsanwalt Alexander Schmidtgall nicht zu übersehen. Er ist in dem Verfahren der Strafverteidiger von Tiffany, der minderjährigen Geldbotin in den Reihen der Betrüger-Bande. "Sie hat mitgemacht", sagte er gegenüber der AZ, "aber bei ihr verschwimmt die Grenze von Täter zu Opfer."
Was Schmidtgall damit meint, drängt sich bei einem Blick auf den Lebensweg seiner jungen Mandantin geradezu auf. Kein Schulabschluss, keine Ausbildung, kein Job und jetzt auch noch im Gefängnis: Das desolate Bild, das Tiffany vermittelt, kommt nicht von ungefähr.
Ihren leiblichen Vater hat sie nie kennengelernt, auch nicht elterliche Liebe. Ihre Mutter, die bei ihrer Geburt gerade einmal 16 Jahre alt war und derzeit wegen Betrugs in Chemnitz in Haft sitzt, war völlig überfordert.
Die Großeltern Tiffanys waren es, die daraufhin die Pflegschaft des neugeborenen Mädchens übernahmen und die Sozialhilfe für sie kassierten.
Es drohen Haftstrafen
Die verschiedenen Vorstrafen, die ihre Großeltern betreffen und durchwegs einen betrügerischen Hintergrund haben, lassen erahnen, in welchem Milieu Tiffany groß wurde.
Erst im vergangenen Jahr wurde gegen ihre Großmutter in Tschechien eine einjährige Haftstrafe verhängt. Gegen Tiffany, die an dem zugrundeliegenden Betrugsgeschäft mit einer gestohlenen Kreditkarte beteiligt gewesen sein soll, ist der Fall rechtlich noch offen. In Tschechien ist die Jugendliche bereits dreimal vorbestraft.
Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen Tiffany, ihren Großvater und den dritten Beteiligten eine Anklage wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs erhoben. Dafür drohen hohe Haftstrafen. Alexander Schmidtgall geht davon aus, dass die extremen Lebensumstände seiner Mandantin im Urteil nicht einfach hinweggewischt werden können. "Diese Entwicklung von ihr", stellt er trocken fest, "war geradezu programmiert."