Erinnerung an Franziska Bilek: "Herrn Hirnbeiß" grantelt einfach weiter
München - Wünsch Dir was! Die AZ spielte den Spendablen. Eine Aktion sollte die geheimen Wünsche der Leser erforschen und erfüllen. „Herr Hirnbeiß“ legte gleich groß vor: „Die sechs Richtigen im Lotto amoi a bisserl früher!“ forderte er frech vom Thron in seinem Kabinettl. Und seine Schöpferin Franziska Bilek machte es der Redaktion auch nicht eben leichter: „Wie schwer ist eigentlich ein menschlicher Kopf – und zwar, wenn er noch drauf ist? Des sollten S’amal schreiben!“
Das war heuer vor 25 Jahren. Die Künstlerin hatte nach einer Hüft-OP „kaum noch den eigenen Kopf in d’Höh bracht“. Die Frage hatte ich am Krankenbett mit einer Tüte Physalis, ihren Lieblingsfrüchten, aus ihr herausgelockt. Vier Tage später, am 11. November 1991, war die kleine Große alte Dame tot. Gestorben an Krebs.
Man hätte denken mögen, sie lebe ewig. Ungefähr so wie der Hirnbeiß, ihre Kreatur, der wie immer auf Seite 2 seinen Kommentar liefert. Mit scheinbar unerschöpflicher Jugendfrische ist sie Jahrzehnte lang auf ihren „Störflügen“ in der Redaktion eingefallen. Eingefallen? Still und leise stand sie plötzlich da und trompetet mir fröhlich ins Ohr: „Des miaßn’s Eahna oschaugn!“ Und schon spritzte sie mir aus einer Plastikblume Wasser ins Gesicht. Nicht umsonst war ich ihre schriftlich legitimierte „Bezugsperson in der AZ“.
Falscher Respekt war nicht das Ding der Franziska Anna Maria Bilek, sonst hätte sie ihren Beruf verfehlt. Wie zum Omen ihrer künftigen Bestimmung sitzt bei ihrer Geburt am 29. Oktober 1906 der Satiriker Ludwig Thoma in Stadelheim ein – er hat die Vertreter der Sittlichkeitsvereine beleidigt. Ihre Mama, die Frau eines böhmischen Schneiders, ahnt gar nicht, was sie da im Kinderwagen durch den Hofgarten schiebt.
Aber das Genie drückt früh durch. Schon als i-Ditzerl kratzt das Münchner Kindl vom Platzl lebensechte Figuren auf die Schiefertafel. Mit Sieben lässt „Fanny“ ihren Nixen (dank Mamas Nachhilfe) bereits richtige Busen schwellen. Die Kommentare der Konterfeiten haben trockene Comic-Komik.
Die Jungfrau Maria etwa fragt den verkündenden Erzengel verblüfft: „Ja, was willst denn Du da?“ Und der Teufel begrüßt die neuen Seelen höflich: „Wen darf ich bitte melden?“ – „Die Bilek treibt Nebendinge unter der Bank“, stellen die heimlich karikierten Lehrer fest.
"Wie ein erschrockenes Huhn"
Mit 15 darf Franziska, nun mit Bubikopf, ihre Passion endlich öffentlich pflegen. Zuerst auf der Kunstgewerbeschule, dann an der Akademie. Beim ersten Professor in „Neapelgelb hell“, beim zweiten mit Aktmodellen in „Pariserblau“. Dann kommt Olaf Gulbransson. „Du saßt wie ein erschrockenes Huhn am Boden zwischen den Staffeleibeinen“, schreibt der große Zeichner später in dem berühmten Briefwechselbuch „Lieber Olaf! Liebe Franziska!“ Und sie antwortet: „ I bin a kloans Binkerl und steh in an Winkerl, und weil i nix kann, fang i lieber nix an ...“
Nein, die Akademie mit all ihren Eitelkeiten ist nicht ihr Revier. Nach drei Semestern ist Schluss. Die Bilek hat in Sachen Kunst eine bodenständige Sicht. „Ich bin unheilbar realistisch“, sagt sie einmal. „Surrealisten gefallen mir nur, wenn sie auch können, was sie möchten.“ Ihrem kollegialen Freund, dem Karikaturisten Dieter Hanitzsch, zeigt sie stolz einen selbstgebastelten „Taschen-Beuys“. Es ist eine mit Filz umkleidete Streichholzschachtel voller Schmierfett. Ihr vernichtendes Verdikt: Beuys kann jeder!
Frühes Vorbild ist ihr dagegen beispielsweise Alfred Kubin. Der düstere Strich und die makabren Sujets des Magiers von Zwickledt beflügeln ihre ohnehin rege Phantasie. Letzte Inspiration aber schöpft die angehende Zeichnerin, Grafikerin und Illustratorin aus dem schnörkellos klaren, kompromisslosen Duktus des Norwegers Olaf Gulbransson. Sie hat schon ihre Bewährungsprobe bei der „Jugend“ hinter sich, als der Akademieprofessor und gefeierte „Simplicissismus“-Zeichner sie in die Riege des Satireblatts holt. Als einzige Frau unter Männern.
Die Nazis zensieren jeden Strich
Die Nazis zensieren nun schon jeden Strich. In der Redaktion bügelt man den letzten Humor auf politische Korrektheit. Nur die Bilek kassiert mit ihren unverfänglichen zwischenmenschlichen Grotesken noch bis zuletzt befreiende Lacher. Eine unpolitische Frau also? „Ich mag mit Politik nichts zu tun haben“, schreibt sie hinterher an den Komiker Karl Valentin. „Hat’s mich zuerst graust, graust’s mich jetzt genau so. Mir gangst.“
Eine Meinung hat sie trotzdem: Beim schwarzen Franz Josef Strauß dreht sie demonstrativ den Farbknopf auf rot und setzt ihm mit zwei Fingern Hörner auf. Privat hält sie’s mit den Liberalen.
Lieber als die hohen Tiere in Bonn führt sie die Viecherl in Hellabrunn vor. Unter ihrer Feder wachsen Löwen, Elefanten und immer wieder Nilpferde zum Zerrbild menschlicher Ignoranz und Überheblichkeit. „Mein Hirn ist wie ein Fotoapparat“, sagt die Zeichnerin. Was sie beim Gang durch die Stadt sieht, wird „in der Wurstmaschine meiner Phantasie glatt verarbeitet.“ „Mir gefällt’s in München“ und „München und ich“ heißen die beiden umwerfende Liebeserklärungen an ihr Isar-Athen, heute gefragte ebay-Klassiker.
Was Sie immer schon über Fr. Bilek wissen wollten, hier steht’s in Wort und Bild:
Ihr Verhältnis zum Bier?
„Manchmal schau ich lang und tief in den Maßkrug – aber es graust mich schon vor dem Geruch.“
Zur Medizin?
„Ärzte mag ich am liebsten, wenn sie Gedichte machen, Theaterstücke schreiben oder Quartett spielen.“
Zum Föhn?
„Manche spüren ihn acht Tage vorher, manche acht Tage nachher – ich ungefähr in der Mitte.“
Zum Sport?
„Nachdem ich einige die Menschenwürde verletzende Stellungen eingenommen hatte, gab ich auch das Schlittschuhlaufen auf.“
Zu Tauben?
„Wir haben auf unserem Platz ungefähr dreihundert wohlgenährte Tauben, die fleißig meine Blumen weißeln.“
„Unser Platz“ ist am Kosttor, die Wohnung im ersten Stock eines mit Säulen und Friesen verzierten Hauses vom Rathausarchitekten Hauberrisser. Hier, mit Blick aufs Hofbräuhaus, zieht die Bilek auf breiten Simsen Geranien, Winden, Sonnenblumen. Die Zimmer sind fast vier Meter hoch. Wenn ich, die Bezugsperson von der AZ, zum Kaffee kommen darf, holt die Dame des Hauses die Dose mit den Butterscotch-Keksen hervor. Da geht’s mir offenbar besser als dem Wirte-Napoleon Richard Süßmeier, der bei der Verleihung des Poetentalers an die Künstlerin seine Besuche so beschrieben hat:
„Die nachmittäglichen Einladungen bei Franziska Bilek sind stets mit Kaffee und Platzerl verbunden. Der Kaffee ist saumäßig stark, die Platzerl, die aus der heurigen, vorjährigen und vorvorjährigen Produktion stammen, schmecken alle ausgezeichnet, sind aber von unterschiedlicher Konsistenz.“
Die Erfahrungen gleichen sich.
Frau Bilek verschwindet suchend im Labyrinth ihrer Wohnung, kramt in Schachteln und Bücherstapeln, findet nichts und taucht schließlich mit einer Neuerwerbung ihres Kitsch- und Gruselkabinetts auf: ein Dracula, der aus dem Sarg heraus nach einem Zehnerl schnappt, eine greislig haarige Vogelspinne am Gummiband, ein laut gurgelndes Porzellanklo, das ein Aschenbecher sein will. Da wundert es kaum noch, wenn die Brille im echten WC mit Stacheldraht ausgelegt ist – poschonend unter Acryl.
„Ich hab lauter Unfug!“ rühmt sie ihr Gespür. „Ich hab a Nasn für so was!“ Und damit kommt sie auf ihre eigenen plastischen Schöpfungen. Da sind zum Beispiel knuddelrunde Nilpferde in diversen Posen, eine aufklappbare „Birne Helène“ mit der nicht minder üppigen Helena in rosiger Nacktheit sowie ein ganzes Heer von ebenso rührenden wie boshaften Zwergerln, von denen eines mit bandagiertem Finger Krokodilstränen weint.
Hier auf dem Stuhl ist auch Karl Valentin gesessen. Immer wieder, weil er im Krieg regelmäßig Mama Bileks Zigarettenration schnorrte. Zum Dank schenkte er der Tochter ein dickes Buch mit nackten Damen von der Jahrhundertwende. Eine ernst gemeinte Anregung für Künstler: „Und Sie san ja aa a Künstlerin ...“
- Themen:
- Franz-Josef Strauß
- Karl Valentin