Eltern flehen: „Gebt uns unsere Kinder zurück“

Leon und Luisa kamen in Pflege, weil Gutachter einem Neuperlacher Paar die Erziehungsfähigkeit absprechen. Doch der Anwalt der Familie und ein Psychotherapeuten melden Zweifel am Urteil an
MÜNCHEN Es gibt nichts emotionaleres als die Verbindung zwischen Eltern und Kind. Da einzugreifen, wenn es das Kindeswohl nötig macht, ist die schwierige und wichtige Aufgabe von Jugendamt und Gericht. Doch im Fall der Münchner Familie S., der im Februar die neu geborenen Zwillinge weggenommen wurden, melden der Anwalt und ein Psychotherapeuten Zweifel an Vorgehen und Entscheidung des Gerichts an.
Der Fall: Sandra S. (27) wurde am 10. Februar von Zwillingen entbunden, durfte sich die ersten Tage auch selber um Leon und Luisa (alle Kindernamen geändert) kümmern. „Sie haben sich bei mir so wohlgefühlt.“ Doch 12 Tage später entschied das Amtsgericht, dass die beiden Neugeborenen wie drei andere Kinder zuvor bei Sandra S. nicht gut aufgehoben sind. Das Kinderbett in der kleinen Neuperlacher Wohnung bleibt leer, die Zwillinge kamen zu einer Pflegefamilie.
Hintergrund der Entscheidung: Sandras Sohn Paul war 2004 mit einem Schütteltrauma ins Krankenhaus gekommen. Aus Angst vor ihrem damaligen Ehemann hatte sie erst später berichtet, dass er das Kind geschüttelt habe. Weil sie sich verspätet um ärztliche Hilfe für ihr Kind gekümmert habe, wird ihr seitdem von Amts wegen als mangelnde Erziehungsfähigkeit angelastet. Nicht nur bei Paul, sondern später auch bei Karl und Max, zuletzt bei Leon und Luisa.
Warum werden Sandra S. immer wieder die Kinder weggenommen? Die Stellungnahme von Ingrid Kaps, Pressesprecherin des Amtsgerichts, fällt knapp aus: „Aus Gründen des Datenschutzes und der Tatsache, dass Familienstreitigkeiten nichtöffentlich sind, ist mir eine ausführliche Stellungnahme verwehrt. Allgemein lässt sich nur sagen, dass dem Beschluss ein Sachverständigengutachten zugrunde liegt, das die Entscheidung stützt.“
Es gibt sogar zwei. Renitenz und mangelnde Intelligenz wird Sandra S. zugeschrieben, ihrem Mann Naivität. Systemadministrator Matthias S. wird von einem Gutachter die Erziehungsfähigkeit unter anderem deshalb abgesprochen, weil er noch nie zuvor Vater gewesen sei.
Matthias S.: „Ich habe lange überlegt. Aber ich glaube, wir müssen uns wehren.“ In einem Brief an den EU-Parlamentarier Tomasz Poreba redet er sogar von „staatlichem Kinderklau“, fordert die Abschaffung des Jugendamtes in seiner jetzigen Form.
Aus seinen Worten spricht die ganze Verzweiflung eines Mannes, dem nicht erlaubt ist, die Rolle des Vaters seiner Kinder auszufüllen: „Es wurde uns keine Chance gegeben, zu zeigen, das wir uns selbst um die Kinder kümmern können. Die haben uns gar nicht erst angehört.“
Doch es gibt auch Menschen, die sich für das Paar einsetzen. Die Familie von Matthias S. will helfen und für Entlastung im Erziehungs-Alltag sorgen. Der Therapeut bei dem Sandra S. in Behandlung ist, stellt ihr zudem ein gutes Zeugnis aus: „Ich habe keinen Zweifel, dass Frau S. alle Anlagen und Fähigkeiten hat, eine gute, verantwortungsvolle Mutter zu sein.“
Inzwischen hat sich Anwalt Lutz Libbertz der Sache angenommen. Er formulierte Anträge in Sachen Luisa und Leon. Aber auch bei Max, dem ersten Sohn der beiden, der ihnen im Dezember 2007 weggenommen wurde – neue Gutachter sollen gehört werden. Begründung: „Die erstellten Gutachten sind unvollständig und lückenhaft.“
Mit seiner Hilfe hoffen Matthias und Sandra S. auf ein gutes Ende und appellieren: „Gebt uns eine Chance zu zeigen, dass wir gute Eltern sind. Gebt uns unsere Kinder zurück.“ John Schneider