Elisabeth Hartnagel: Die Schwester der Scholls über die Weiße Rose

Sie ist die letzte lebende Angehörige der berühmten Geschwister: Wie die 98-Jährige über die "Weiße Rose" denkt.
Felix Müller |
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Elisabeth Hartnagel.
Elisabeth Hartnagel.

München - Ein Februartag Ende der 20er-Jahre, die zwei kleinen Scholl-Mädchen sitzen im selben Klassenzimmer. Elisabeth ist ein Jahr älter als Sophie. Doch als der Lehrer Elisabeth ausgerechnet an ihrem Geburtstag in die letzte Reihe strafversetzen will, protestiert diese. Das könne er der "Liesl" doch nicht ausgerechnet heute antun! Mehr als 80 Jahre später, an einem Frühlingstag 2011, empfängt Elisabeth Hartnagel den Reporter in ihrem kleinen von Weinstöcken umwucherten Haus im Stuttgarter Osten. Das Gehen fällt ihr schwer.

Doch sie nimmt sich viel Zeit für ihren Besuch, es ist ihr ein Bedürfnis, über ihre Geschwister zu sprechen. Hartnagel, heute 98, erzählt die Geschichte aus dem Klassenzimmer. Und sagt lächelnd: "Die Sophie hat schon als Kind ein großes Gerechtigkeitsgefühl gehabt."

Sie ist die letzte Überlebende der Scholl-Geschwister. Einst sind sie zu fünft, drei Mädchen, zwei Brüder. Sie wachsen auf im schwäbischen Forchtenberg. Die Scholls sind dort wer, der Vater ist Bürgermeister in dem Ort, ein Liberaler.

"Mir waret alle bissle schüchtern", schwäbelt Elisabeth Hartnagel an jenem Frühjahrstag 2011, als sie sich an ihre Jugend auf dem Lande erinnert. Elisabeth lernt später Kindergärtnerin im nahen Tübingen, ihre Geschwister gehen zum Studium nach München, wo sie die "Weiße Rose" prägen sollen.

Die Geschwister waren eng verbunden

Die Geschwister bleiben sich persönlich eng verbunden, Elisabeth besucht Hans und Sophie in München – dass sie aktiv Widerstand leisten, ahnt sie nicht. Ob es sie im Rückblick ärgert, nicht eingeweiht worden zu sein? Nein, sagt sie. "Selbst Mitwissen konnte ja für ein Todesurteil genügen."

Elisabeth Hartnagel hat ihr eigenes Bild von ihren Geschwistern. Zum Beispiel zur These, diese hätten aus christlicher Motivation Widerstand geleistet. In der Wohnung in der Franz-Joseph-Straße in Schwabing habe sie "überhaupt keine religiösen Gespräche" mitbekommen, sagt sie. "Es hat sich alles um Politik gedreht. Sie haben sich vorgestellt, wie ein künftiger Staat aussehen soll." Und zwar demokratisch.

Von der Verhaftung ihrer Geschwister erfährt Elisabeth aus der Zeitung. Kurz darauf kommen auch die anderen Scholls in Haft, "Schutzhaft" nennen die Nazis das. "Meine Schwester Inge hat gesagt, das ist jetzt unser Beitrag zur Weißen Rose", sagt Elisabeth Hartnagel. "Wir waren so voller Bewunderung für meine Geschwister."

Elisabeth Scholl war im Visier der Gestapo

Schon nach wenigen Tagen in der ungeheizten Zelle wird Elisabeth Scholl krank, nach zwei Monaten ist sie die erste, die wieder entlassen wird. Die schlimme Zeit ist aber noch lange nicht vorbei. Selbst Freunde meiden sie. "Ich habe manchmal gedacht, die Nazis hätten gar keine Gestapo gebraucht", sagt sie. "Die Bevölkerung ist zu der Gestapo gelaufen und hat alles erzählt." Aber auch die Gestapo selbst hat sie weiter im Visier.

Der Familie steht in der schweren Zeit Fritz Hartnagel bei, Sophies Verlobter. Elisabeth und Fritz geben sich Halt, später wird es Liebe. Sie heiraten, Elisabeth bekommt vier Söhne.

Mit dem Erbe ihrer berühmten Geschwister will sie sich nie schmücken. Ihr Mann habe stets gesagt: "Wir waren ja nicht im Widerstand." Erst als ihre Schwester Inge 1988 stirbt, geht sie an die Öffentlichkeit, spricht an Schulen, gibt Interviews.

Doch jetzt, im hohen Alter von fast 100 Jahren, habe sich Elisabeth Hartnagel doch etwas zurückgezogen, heißt es dieser Tage aus der Weiße-Rose-Stiftung. An jenem Frühlingstag 2011 in ihrem Wohnzimmer, ist die Sprache noch auf den bevorstehenden 90. Geburtstag von Sophie Scholl gekommen. Ihre Schwester sagt, das Jubiläum habe für sie keine Bedeutung. "Wissen Sie", sagt Elisabeth Hartnagel, "für mich ist Sophie immer noch jung. Das könnte jetzt meine Enkelin sein."

Lesen Sie auch: Die "Weiße Rose" und ihr Kampf

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