"Einen Umzug würde ich nicht überstehen": Münchnerin (85) wird Wohnung gekündigt – wegen angelehnter Hoftür
München - Claudius Sch. (59) schiebt seine Mutter in den Gerichtssaal B 815. Die 85-Jährige sitzt im Rollstuhl, ist schwerbehindert. Schon seit Jahren kann Eva Sch. ihre Wohnung in der Stollbergstraße kaum noch verlassen. Im vergangenen Jahr musste sie mehrmals operiert werden, verbrachte viele Monate im Krankenhaus und in der Reha. Die Münchnerin hat eine schwere Wirbelsäulenerkrankung und starke chronische Schmerzen.

Doch am Dienstag vergangener Woche geht es für sie und ihren Sohn im Amtsgericht in der Pacellistraße um alles. Sie sollen ihr Zuhause verlieren. Der Vermieter von Eva Sch. hat ihr im Dezember außerordentlich fristlos gekündigt und eine Räumungsklage angekündigt. Vor Gericht geht es nun um die "Räumung und Herausgabe" der Wohnung.
Mieterin in München soll Wohnung verlieren: In der Wohnung war oft Freddie Mercury zu Besuch
Seit 34 Jahren schon lebt Eva Sch. in der 4-Zimmer-Wohnung im vierten Stock in der Stollbergstraße, einer Seitenstraße der Maximilianstraße. Das Gebäude kennen sehr viele Münchner. Im Untergeschoss wurden 49 Jahre lang feine Austern und viel Champagner serviert. Im Januar 2023 war Schluss, der Austernkeller war in finanzielle Schieflage geraten, musste schließen.

Und auch die Wohnung, in der Eva Sch. mit ihrem Sohn wohnt, hat Geschichte. Die Vormieterin von Eva Sch. war Barbara Valentin. Die Schauspielerin, die mehrere Jahre mit Kult-Regisseur Helmut Dietl († 2015) verheiratet war, spielte in Filmen von Rainer Werner Fassbinder und war eng mit Queen-Sänger Freddie Mercury befreundet.
In der Wohnung, in der die Sch.s wohnen, verbrachten Valentin und Mercury einst viel Zeit zusammen. In ihrem Bett sahen sie sich Schwarz-Weiß-Filme wie "Küss mich als gäb's kein Morgen" an.
"In dem Zimmer, in dem Barbara Valentins Bett stand, schlafe ich seit fast 35 Jahren", erzählt Eva Sch. der AZ. Rot, grün und blau seien die Wände gestrichen gewesen, als sie die Wohnung übernahm. "Das Schlafzimmer war rosa", erzählt sie. "Ich hab damals 60.000 Mark in die Renovierung gesteckt."

Eva Sch. betont, dass sie ihre Miete immer pünktlich gezahlt und sich nie etwas zuschulden habe kommen lassen. Mittlerweile ist ihr Vermieter eine Immobilien-KG. An deren Spitze steht der Sohn des ersten Vermieters. Er ist ebenfalls Arzt und Professor, wie sein Vater.
Der Grund, warum der Vermieter die 85-jährige Münchnerin und ihren Sohn auf die Straße setzen will: Claudius Sch. soll "regelmäßig" die Hoftür offen stehen lassen haben. Laut Anwaltsschreiben vom 5. Dezember 2024 habe Claudius Sch. das Schloss manipuliert": Er habe die geöffnete Tür abgesperrt, damit sie nicht ins Schloss falle.

Dass so etwas zu einer fristlosen Kündigung und Räumungsklage führen kann, klingt erst mal absurd. Mutter und Sohn vermuten, dass der Vermieter sie loswerden will, um die Wohnung in bester Innenstadtlage deutlich teurer neu vermieten zu können. "Er hat mir von Anfang an das Leben schwergemacht", sagt Eva Sch. zur AZ. "Wegen des alten Mietvertrags kann er meine Miete nur in Maßen erhöhen. Es geht hier nur ums Geld."
"Kein Pillepalle, wenn man wiederholt gegen die Hausordnung verstößt"
Fakt ist: Die Situation ist für Eva Sch. und ihren Sohn ernst, sehr ernst sogar. Der Fall dürfte einzigartig sein in München, beim Mieterverein ist jedenfalls kein vergleichbarer bekannt. Monika Schmid-Balzert, stellvertretende Geschäftsführerin, auf AZ-Anfrage:
"Es klingt, als wollte man den Sohn loswerden." Die Miet-Expertin sagt: "Man könnte die Hausordnung juristisch überprüfen lassen." Jeder Fall sei eine Einzelfall-Entscheidung. "Pillepalle ist es nicht, wenn wiederholt gegen die Hausordnung verstoßen wird. Die Hausordnung ist nicht nur ein Blatt Papier." Mieter müssten das erforderliche Verhalten an den Tag legen. Bei einer ständig offenen Tür könne es zum Beispiel bei einem Einbruch zu Problemen mit der Versicherung kommen.

Zum Prozess am Dienstag (29. April) erscheint auch der Vermieter persönlich. Kläger ist die Immobilien-KG, der er vorsteht. Der Medizinprofessor (73) sagt, dass seine Tochter, die ebenfalls im Haus wohne, zweimal beobachtet habe, dass Claudius Sch. die Tür offengelassen habe. Dies sei gewesen, nachdem Claudius Sch. bereits eine Abmahnung bekommen hatte.
Claudius Sch., ist freiberuflicher Designer und arbeitet von zu Hause aus. Im Gespräch mit der AZ sagt er, dass es sein kann, dass er ab und an vergessen habe, die Tür wieder richtig zu schließen, nachdem er sein Fahrrad mit Einkäufen durchgeschoben hatte. Er sei oft in Gedanken bei seiner Mutter gewesen, die so lange im Krankenhaus lag. "Ich hatte wirklich andere Sorgen."
Er ist fassunglos, dass der Vermieter ihm und seiner Mutter aus so einer "Lappalie einen Strick drehen" wolle. Er fühlt sich schikaniert. Die Tür habe jahrzehntelang häufig offengestanden, alle Hausbewohner nutzen sie, um zu den Mülltonnen zu gehen. Auch Mitarbeiter der benachbarten Kammerspiele würden hier durchgehen, um den Weg zu einem Lebensmittelladen vorn im Haus abzukürzen.
Pflichtwidriges Verhalten? "Unsere Mieter haben Angst"
Der Vermieter wirft Claudius Sch. "pflichtwidriges Verhalten" vor. "Unsere Mieter haben Angst", behauptet er im Gericht. Die offene Tür sei ein Sicherheitsrisiko. Im Hausflur hätten schon Obdachlose geschlafen und dort sogar "uriniert". Seine Tochter traue sich nur noch mit Pfefferspray ins Haus.

Richterin Prantl versucht zu vermitteln. "Was ich tragisch finde, ist, dass Frau Sch. mit der ganzen Geschichte so gut wie nichts zu tun hat", sagt sie zum Vermieter. Claudius Sch. bietet noch an, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, was bedeutet, dass er Strafe zahlen würde, falls er die Türe wieder vergisst zu schließen. Doch der Vermieter bleibt hart. "Eine Beendigung des Mietverhältnisses muss es geben", sagt sein Anwalt.
Als Claudius Sch. seine Mutter wieder aus dem Gerichtsgebäude rollt, sind beide bedrückt. "Menschlich ist das nicht", sagt die 85-Jährige. "Einen Umzug würde ich nicht überstehen." Sie hat ein Attest aus der Schön Klinik, in dem es heißt: "Eine Veränderung der gewohnten Umgebung würde einen krankheitsverschlechternden Einfluss haben."
Die Stimme ihres Sohnes Claudius bricht, als er sagt: "Das könnte ich mir nicht verzeihen, wenn meine Mutter wegen mir aus der Wohnung muss."
Wenn der Vermieter nicht noch einlenkt und doch noch Erbarmen zeigt mit seiner 85-jährigen, schwerkranken Mieterin, wird die Richterin am 23. Mai ihr Urteil verkünden.
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