Eine der wichtigsten Verbindungsstraßen Münchens ist eine Dauerbaustelle – den Händlern reicht's

Die Dauerbaustelle auf der Fürstenrieder Straße in München bringt nicht nur Verkehrschaos, sondern auch massive Umsatzrückgänge für die ansässigen Geschäftsleute mit sich. Betroffene berichten von existenzbedrohenden Folgen und einem Rückgang der Laufkundschaft.
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
1  Kommentar
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Erhan Tezel führt das Geschäft „Foto-Sofort“ in der Fürstenrieder Straße bereits seit 40 Jahren. Seinen derzeitigen Umsatzverlust schätzt der 69-Jährige zwischen 30 und 50 Prozent.
Erhan Tezel führt das Geschäft „Foto-Sofort“ in der Fürstenrieder Straße bereits seit 40 Jahren. Seinen derzeitigen Umsatzverlust schätzt der 69-Jährige zwischen 30 und 50 Prozent. © Anna Kelbel

Mit rund viereinhalb Kilometern ist die Fürstenrieder Straße eines der wichtigsten Verbindungsstücke in Münchens Innenstadt. Gerade verbinden viele Münchner mit der Straße aber vor allem eines: Dauerbaustelle.

Denn im Zuge der Arbeiten für die neue Tram-Westtangente wurden an der Ecke zur Gotthardstraße außerdem Hohlräume gefunden (AZ berichtete). Die ganze Fürstenrieder Straße kann derzeit nur als Einbahnstraße befahren werden, in nördlicher Fahrtrichtung bleibt sie gesperrt.

Für Fußgänger und Radler gleicht die Strecke durch die Fürstenrieder Straße einem Labyrinth. Absperrungsschranken weisen den Weg.
Für Fußgänger und Radler gleicht die Strecke durch die Fürstenrieder Straße einem Labyrinth. Absperrungsschranken weisen den Weg. © Anna Kelbel

"Zeit? Seit der Baustelle habe ich ziemlich viel davon"

Darunter leiden nicht nur die Autofahrer, sondern vor allem die Geschäftsleute vor Ort. Die AZ hat mit einigen von ihnen gesprochen. Das war gar nicht so leicht. Von der U-Bahnhaltestelle am Laimer Platz muss sich die Reporterin durch etliche Absperrungsschranken schlängeln. Radfahrer und Fußgänger teilen sich einen Weg.

An manche Geschäfte kommt man nur von einer Seite aus heran, so, wie bei "Lelus Kiosk". Dort wird auf der anderen Seite gerade ein U-Bahnaufgang zugeschüttet. Ob Mitarbeiterin Gabriele Markotic kurz für ein Interview Zeit hätte?

Der Lelus-Kiosk ist derzeit nur noch von einer Seite betretbar. So geht Mitarbeiterin Gabriele Markotic die Laufkundschaft durch die Lappen.
Der Lelus-Kiosk ist derzeit nur noch von einer Seite betretbar. So geht Mitarbeiterin Gabriele Markotic die Laufkundschaft durch die Lappen. © Anna Kelbel

"Zeit? Seit die Baustelle hier ist, habe ich mehr als genug davon", antwortet sie. Der Grund: "Unsere gesamte Laufkundschaft geht ab. Gehbehinderte oder Ältere kommen durch die Baustelle nicht mehr zu uns und Schulkinder gehen nicht mehr vorbei, um sich Süßkram zu kaufen", bedauert Markotic.

Massive Lieferverspätungen bei Medikamenten

Schräg gegenüber gehört Alfred Böhm seit 1980 die Hahnen-Apotheke. "Für uns ist die Anlieferung von Medikamenten ein großes Problem. Wir haben eigentlich fest vereinbarte Lieferzeiten. Dadurch, dass es hier derzeit keine Parkplätze gibt, kommt es zu massiven Lieferverspätungen. Das ist besonders schlimm, wenn ein Kunde ein Medikament akut benötigt." Einen Umsatzrückgang spüre Alfred Böhm definitiv. Auch sein Arbeitsweg, der sonst eine halbe Stunde dauert, vervielfacht sich häufig. "Letztens habe ich eindreiviertel Stunden gebraucht."

Er erinnert sich noch gut an eine Bürgerversammlung, bei der, so Böhm, 85 Prozent gegen eine Tram-Westtangente stimmten. "Eine Woche später war dann Spatenstich." Das war im Juni 2024. "Meiner Meinung nach hätte es die Tram-Westtangente nicht gebraucht."

Er nimmt das Baustellen-Chaos gelassen: Anwohner Stephan Dengler steigt stattdessen aufs Radl.
Er nimmt das Baustellen-Chaos gelassen: Anwohner Stephan Dengler steigt stattdessen aufs Radl. © Ana Kelbel

"Der Verkauf ist um 60 Prozent zurückgegangen"

Weiter geht es ein Häuschen daneben zu Thomas Fladung. Das Geschäft "Heidi Foto" gehört ihm schon seit über 30 Jahren. "Ich habe einen Rückgang im Verkauf von 60 Prozent. Die Leute wollen bei so einer Baustelle nicht hier her." Fladung habe sich bereits nach einer Entschädigung erkundigt. "Ich bin einfach erschüttert", so der Ladenbesitzer. "Für mich ist diese Baustelle existenzbedrohend."

Kleine Stärkung bei Ratschillers Bäckerei ein paar Häuser weiter: Es ist schon mittags und die Ladentheke ist immer noch voll. Mitarbeiterin Faiza Belbeg zuckt mit den Schultern: "Meine Kollegin hätte heute bis um halb eins gearbeitet, musste aber schon um neun Uhr gehen. Wir bauen gerade all unsere Arbeitsstunden ab." Der Lärm sei "katastrophal". Belbeg zeigt mit den Händen über ihren Kopf hinaus: "Mir steht es bis hier."

Thomas Fladung („Heidi Foto“) hat in etwa 60 Prozent Umsatzrückgang.
Thomas Fladung („Heidi Foto“) hat in etwa 60 Prozent Umsatzrückgang. © Anna Kelbel

Anwohner Stephan Dengler nimmt das Baustellen-Chaos mit Humor. Gerade ist er mit seinem Radl unterwegs. Das ist sein Glück, denn die U-Bahnstation "Laimer Platz" ist kurzfristig gesperrt. Bei den Bauarbeiten ist ein Starkstromkabel kaputt gegangen und es gab eine leichte Rauchentwicklung in einem Betriebsraum im U-Bahnhof.

"Hohlräume? Ich glaube, das ist eine Ausrede"

Dengler lacht: "Erst finden sie Hohlräume, jetzt kommt die Feuerwehr. Es eskaliert zunehmend." Er sei froh, viel mit dem Radl unterwegs sein zu können. "Für Autofahrer ist diese Baustelle die Hölle."

Das bestätigt auch Ladenbesitzer Erhan Tezel. Er kommt jeden Tag von Germering aus in sein Geschäft "Foto-Sofort" in der Fürstenrieder Straße. Seit 1985 gehört ihm der Laden. Tezel erinnert sich noch gut, als die U-Bahnstation "Laimer Platz" im März 1988 eingeweiht wurde.

Er hat Aufnahmen vom damaligen Umbau prominent in seiner Ladentheke platziert. "Die Baustelle hat uns nicht so behindert." Damals konnte man, so Tezel, die Geschäfte mit dem Auto erreichen.

Die Tram-Westtangente ist unnötig. Hätte niemand gebraucht, findet Alfred Böhm von der Hahnen-Apotheke.
Die Tram-Westtangente ist unnötig. Hätte niemand gebraucht, findet Alfred Böhm von der Hahnen-Apotheke. © Anna Kelbel

Ein Modehaus hat bereits aufgegeben

"Die aktuelle Situation ist eine Attacke gegen Autofahrer wie mich", berichtet Tezel. Der 69-Jährige macht, so schätzt er, einen Umsatzverlust zwischen 30 und 50 Prozent. Trotz zahlreicher Aufnahmen der Hohlräume, die veröffentlicht wurden, erklärt der Foto-Experte: "Meiner Meinung nach haben die Bauarbeiter gar keine Hohlräume entdeckt. Das ist doch nur eine Ausrede, weil die nicht rechtzeitig mit der Baustelle fertig werden."

Tezel blickt wehmütig auf die gegenüberliegende Straßenseite. In der Fürstenrieder Straße 46 musste das Modehaus Schreiner in diesem Sommer zusperren. Eröffnet hatte es 1962 als kleines Textilwarengeschäft. "Das ist schon sehr schlimm, wenn man so etwas mitbekommt. Ich hoffe, dass die Bauarbeiten bald vorbei sind und die Westtangente dann fertig ist", so Tezel.

Da muss er sich wohl noch etwas gedulden: Laut MVG-Webseite ist die Gesamtbetriebnahme der Tram-Westtangente bis Ende 2028 geplant.

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
  • kartoffelsalat vor 58 Minuten / Bewertung:

    "Meiner Meinung nach haben die Bauarbeiter gar keine Hohlräume entdeckt. Das ist doch nur eine Ausrede, weil die nicht rechtzeitig mit der Baustelle fertig werden."

    Na herzlichen Gruß unter den Aluhut.
    ---
    "Die aktuelle Situation ist eine Attacke gegen Autofahrer wie mich",

    Und so hört sich das an wenn man glaubt die Welt drehe sich nur um einen selbst.
    ---
    Baut die Stadt: Alles schlimm!
    Baut die Stadt nicht: Alles schlimm!

    Antworten lädt ... Kommentar melden
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.