„Eine Chance – und keine Krise“
Ein Karrierecoach bestätigt: Immer mehr Arbeitnehmer wollen sich verändern
AZ: Herr Feichtner, trügt der Eindruck, oder fangen immer mehr Menschen in der Mitte ihres Berufslebens noch einmal von vorne an?
WALTER FEICHTNER: In der heutigen Zeit ist Flexibilität äußerst wichtig. Viele Menschen haben keine andere Wahl. Sie müssen sich beruflich neu orientieren, aufgrund von Personalabbau oder Umstrukturierungen. Es gibt aber auch immer mehr Menschen, die „freiwillig“ noch einmal von vorne anfangen, oft nach weit über 15 Jahren erfolgreicher Tätigkeit in ihrem Job. Gerade in den letzten 10 Jahren hat diese Tendenz stark zugenommen. Auch bei den Kunden von Karrierecoach München hat sich der Anteil der Personen fast verdoppelt, die in der Mitte ihres Berufslebens in eine komplett neue Richtung tendieren und auf diesem Weg Unterstützung suchen.
Früher blieben die Menschen in dem Job, den sie einmal gelernt hatten. Warum ist das nicht mehr so?
Bis etwa Mitte der 90er Jahre blieben sehr viele Menschen in dem Job, den sie gelernt hatten. Es war sogar so, dass jeder Mensch im Schnitt nur circa fünf Arbeitgeber hatte. Dies hat sich gerade in den letzten 15 Jahren stark verändert. Gründe hierfür sind die vom Arbeitsmarkt geforderte Flexibilität und Mobilität der Menschen. Aber auch die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes und auch das wirtschaftliche „Up and Down“ spielen hierbei eine große Rolle. Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist nicht mehr so stark ausgeprägt. Viele Menschen möchten sich selbst verwirklichen und merken erst nach vielen Jahren Berufstätigkeit, dass sie im falschen Job sind oder ihr Job sie auf Dauer nicht glücklich macht. Es geht nicht mehr rein ums Geldverdienen. Das was man macht, soll auch Spaß machen.
Welche Motive haben die Job-Wechsler?
Einige haben bemerkt, dass die Zeit unheimlich schnelllebig ist und sie in ihrem Job keine so guten Chancen haben wie ihre jungen Mitbewerber. Dies gilt insbesondere für die Bereiche IT und Neue Medien. Andere wissen, dass sie auf Dauer durch ihren Job krank werden. Die akute Gefahr eines Burn-Out-Syndroms droht. Wieder andere spüren, dass sie einfach einen Wechsel brauchen. Manche von ihnen wurden bei ihrer Berufswahl von ihren Eltern unfreiwillig in eine bestimmte Richtung gedrängt und wissen, dass sie den Wechsel schon immer im Hinterkopf hatten. Manche haben schon immer von einem anderen Job geträumt und trauen sich endlich, diesen Weg zu gehen.
Manch einer spricht spöttisch von Midlife-Crisis. Richtig oder falsch?
Sicher kann diese Entwicklung auch etwas mit dem Alter zu tu haben, aber es ist sicher keine Krise. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt eine neue Chance, die man endlich ergreifen möchte. Auch die Gesellschaft sieht dies meist sehr positiv, auch wenn immer noch einige diese Menschen als Spinner bezeichnen. „Die hatten doch so einen guten Job.“ Oder: „Die waren eh so erfolgreich.“
Gibt es spezielle Altersgruppen, in denen das Phänomen „Neustart“ besonders häufig auftritt?
Eigentlich sieht man dieses Phänomen bei allen Altersgruppen. Gerade in jungen Jahren, bis etwa 30, ist es relativ normal, dass sich diese Menschen anders entscheiden und einen neuen Weg einschlagen. Aber auch bei über 45-Jährigen gibt es immer mehr Menschen, die den Schritt in ein neues Berufsleben gehen. Eher untypisch zwischen 30 und 45, da in diesem Alter wirtschaftliche Zwänge, Vermögensaufbau oder Familie im Zentrum des Intetesses stehen.
In welche Bereiche wechseln die Menschen?
Das ist sehr unterschiedlich. Oft ist die Selbständigkeit das Ziel, sicher aus dem Grund, weil hierbei das Thema Selbstverwirklichung am besten realisiert werden kann. Viele Menschen machen „einen eigen Laden auf“ – ein Bekleidungsgeschäft oder ein Kosmetikstudio – oder gehen in den sozialen Bereich oder wollen in Bereichen Sport, Ernährung oder Gesundheit arbeiten. Es gibt auch einige, die sich trauen, in Richtung Hobby zu gehen.
Wie erfolgsversprechend ist ein beruflicher Neuanfang?
Der Erfolg hängt natürlich hauptsächlich von der Idee, der Begabung, der Motivation und dem Ehrgeiz ab. Sicher gehört auch etwas Glück dazu, aber auch das persönliche Netzwerk spielt eine sehr große Rolle. Das Thema „Realistische Berufswahl“ ist sehr wichtig, da die neue Tätigkeit zu einem passen muss. Die dafür notwendigen Schlüsselqualifikationen müssen natürlich vorhanden sein.
Was sollte man unbedingt tun oder beachten, bevor man sich für einen Jobwechsel entscheidet?
Man sollte seine aktuelle Situation überdenken und sich über die
Was war der außergewöhnlichste Wechsel, mit dem Sie als Karrierecoach zu tun hatten?
Eine Dame, die sogar Studienkollegin von mir war, hat den Schritt in einem komplett neue Richtung gemacht. Sie hatte nach ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Studium sieben Jahre lang in einem französischen Unternehmen in der Marketingabteilung gearbeitet. Die Position war sehr interessant, aber auch sehr fordernd. Nach einigen gesundheitlichen Problemen und Burn Out nahm sie sich eine kurze Auszeit und flog nach Indien. Sie blieb mehrere Wochen in einem Kloster zur Mediation und reiste danach durch das Land. Unterwegs lernte sie eine Deutsche kennen, die in der Ayurveda-Heilkunst tätig war. Sie konnte einige Wochen interessante Einblicke in den Bereich bekommen. Ein Jahr später reiste sie wieder nach Indien, um selbst diese Kunst zu erlernen. Sie machte zahlreiche Kurse und entschied sich, selbst in dem Bereich tätig zu werden.
Hat dieser Wechsel funktioniert?
Sie hat sich vor zwei Jahren selbständig gemacht, gibt Seminare zu Ayurveda-Themen, Massage und Ernährungsberatung. Sie kann mittlerweile gut davon leben, es geht ihr gut und sie ist absolut davon überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung für sie war. Interview: nk
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