Ein letzter Ruheort – ohne Namen

Die Zahl der anonymen Bestattungen geht zurück. Wohl auch, weil sich Angehörige einen Ort der Trauer wünschen
Nina Job |
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Nur an diesem Stein dürfen Trauernde Blumen und Kerzen ablegen.
Nina Job 2 Nur an diesem Stein dürfen Trauernde Blumen und Kerzen ablegen.
Johannes Sprenger an der Friedhofswiese für anonyme Bestattungen.
Nina Job 2 Johannes Sprenger an der Friedhofswiese für anonyme Bestattungen.

Es gibt keinen Namen, kein Grabstein, keine Markierung. Ein paar Birken und Nadelbäume stehen auf der großen Wiese – und zwei Sitzbänke. Fast nichts deutet darauf hin, dass dieser Ort im Neuen Teil des Waldfriedhofs die Ruhestätte einiger tausend Menschen ist.

Kein Wegweiser auf dem Friedhof führt hierher, auch auf den Karten in den gläsernen Schaukästen auf dem Friedhof ist er nicht markiert. Die Menschen, die hier ihre letzte Ruhe fanden, wollten es genau so: sie wollten eine anonyme Bestattung. So haben sie es einst mit ihrer Unterschrift verfügt.

Ein grau gekleideter Mann hat den Ort trotzdem gefunden. Er geht am Freitagvormittag mit einer gelben Gießkanne in der Hand langsam über die große Wiese. Der Mann hat zum Trauern einen Baum ausgewählt, unter den er ein Stöckchen Erika gepflanzt hat.

Wo genau seine Frau liegt, kann er nicht wissen, es gibt keine Grabstellen hier – nur die große Wiese und ihre Bäume. Und eigentlich darf er hier nichts pflanzen oder hinlegen, auch keine Blumen.

„Es fällt vielen Angehörigen schwer, keinen richtigen Ort zum Trauern zu haben“, sagt Kriemhild Pöllath-Schwarz, die Chefin der städtischen Friedhöfe. „Das bedenken die Menschen manchmal nicht, wenn sie sich für eine anonyme Bestattung entscheiden.“

Zweimal im Jahr kommen die Friedhofsangestellten in aller Herrgottsfrühe zu der Wiese. Um 5 Uhr, wenn der Friedhof noch geschlossen ist, heben sie ein großes Loch aus, in dem sie etwa 250 Urnen auf einmal in einem Sammelgrab beisetzen. Kein Pfarrer ist anwesend und kein Angehöriger. Die Männer erledigen ihre Arbeit und sprechen nur das Notwendigste.

Auch wenn Verwandte oder Freunde der Toten inständig darum gebeten haben – der Termin der Beisetzung wird niemandem mitgeteilt. Das ist der letzte Wille des Verstorbenen oder der Verstorbenen gewesen. So hat er es unterschrieben.

Vor sechs Jahren ließen sich noch fast doppelt so viele Münchner auf diese Weise beisetzen: 980 anonyme Bestattungen wurden durchgeführt. „Oft sind es Menschen, die noch den Krieg miterlebt haben. Sie wollen niemandem zur Last fallen. Sie äußern immer wieder, dass sie ,kein Trara’ wollen“, erklärt Kriemhild Pöllath-Schwarz. Doch oft seien sie sich zunächst nicht im Klaren darüber, welche Konsequenzen damit für die Menschen verbunden sind, die um sie trauern werden.

„Was entlastend gemeint war, kann für Angehörige belastend sein“, sagt die Friedhofs-Chefin. „Es ist für viele Trauernde sehr wichtig, Blumen an ein Grab bringen zu können oder eine Kerze anzuzünden.“ Deshalb suchen Freunde und Angehörige auch oft nach der letzten Ruhestätte ihrer Lieben, obwohl sie anonym sein sollte.

„Wir erleben immer wieder, wie Angehörige versuchen, den genauen Bestattungsort ausfindig zu machen. Sie rufen in der Verwaltung an, gehen die Wiese auf und ab und sprechen Friedhofsmitarbeiter an. Das zeigt, wie groß das Bedürfnis nach einem konkreten Ort der Trauer sein kann.“

Davon zeugt auch, dass Angehörige Blumen ins Gras stecken. Oder dass sie kleine Andenken an die Verstorbenen vor eine Natursteinmauer in der Nähe legen.

Am Morgen, als der Mann mit der gelben Gießkanne seine verstorbene Frau besuchen will, hat kurz vorher jemand eine rote und eine weiße Rose in einen Spalt zwischen die Mauersteine gesteckt. Das sehen die Friedhofsmitarbeiter allerdings nicht gern – dafür ist eigentlich ausschließlich der Platz vor einem großen Gedenkstein neben der Wiese vorgesehen: dort dürfen Grabschmuck und Kerzen hinterlegt werden.

Sie werden allerdings regelmäßig weggeräumt, genauso wie Andenken oder Putten – was Trauernde dann immer wieder sehr verärgert. „Es ist trauerpsychologisch wichtig, dass man seinen Schmerz irgendwo lassen kann“, sagt Kriemhild Pöllath-Schwarz. Johannes Sprenger, erster Verwalter des Waldfriedhofs ergänzt: „Ohne einen Ort, an dem man trauern kann, geht uns etwas verloren.“

Wohl auch deshalb ist die Zahl der anonymen Bestattungen in den vergangenen Jahren sogar etwas zurückgegangen. Zudem wurde 2010 die Friedhofsatzung dahingehend geändert, dass sie nur persönlich mit Unterschrift verfügt werden können.

Die Kosten allein – die Grabgebühr kostet einmalig 450 Euro, dazu kommen Einäscherung und Urnenbeisetzung – dürften kein ausschlaggebender Grund mehr sein. Es gibt Alternativen, die sogar weniger kosten und die Grabpflege beinhalten.

  • Bestattungskosten: Ein Urnengrab kostet ab 25 Euro

    2013 wurden in München 11 000 Menschen beigesetzt. Die Kosten für die letzte Ruhe variieren enorm: Eine Erdbestattung liegt bei 1276 Euro, eine Einäscherung mit Urnenbeisetzung bei 1161 Euro. Ein Bestattungsplatz unter einem (Gemeinschafts-)Baum für 25 Jahre kostet 2575 Euro, ein „Familienbaum“ als Grabstätte kostet 5150 €.

Kriemhild Pöllath-Schwarz rät: „Sprechen Sie vor der Entscheidung mit Ihren Angehörigen!“ Wenn auch Angehörige keinen konkreten Trauerort wünschen, kann eine anonyme Bestattung aber tatsächlich auch die beste Entscheidung sein. Wie im Fall einer Münchnerin, deren einzige Tochter nach Schweden ausgewandert war.

 

 

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