Ein Kampf gegen Aids und Ignoranz

Afrika? Aids? Nicht schon wieder! Wie die Münchner Journalistin Christa Graf um ihren Kino-Film „Memory Books“ kämpfte – und dafür jetzt wohl endlich belohnt wird.
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Das Filmplakat von „Memory Books“ zeigt ein kleines Mädchen. In seiner Heimat Uganda hat Aids rund 1,3 Millionen Kinder zu Waisen gemacht.
Roland Wagner Das Filmplakat von „Memory Books“ zeigt ein kleines Mädchen. In seiner Heimat Uganda hat Aids rund 1,3 Millionen Kinder zu Waisen gemacht.

Afrika? Aids? Nicht schon wieder! Wie die Münchner Journalisten Christa Graf um ihren Kino-Film „Memory Books“ kämpfte – und dafür jetzt wohl endlich belohnt wird.

MÜNCHEN/BERLIN Wenn morgen im Ritz-Hotel der Berliner Filmball nach knapp 50 Jahren sein glanzvolles Comeback feiert, sitzt eine Münchnerin an Tisch 1, direkt vor der Bühne: Filmemacherin Christa Graf (60). Ihre Afrika-Dokumentation „Memory Books“ ist für den Ehrenpreis nominiert, Experten räumen ihr beste Chancen ein. „Als der Anruf kam, dass ich eingeladen bin – das war eine Belohnung, so eine Freude, die tief ins Herz reinging“, sagt sie. Denn Christa Graf hat jahrelang um die Realisierung ihres Films gekämpft.

2004 landete die Journalisten über Umwegen auf einer Lesung von Henning Mankell. Es ging um HIV-positive Mütter in Uganda, die ihren Kindern Erinnerungsbücher schreiben, in denen sie von ihrer Familie erzählen, von Bräuchen und Ritualen. Oft sind die grünen Hefte das einzige, was den Aidswaisen Afrikas von ihren Eltern bleibt. Graf war tief berührt. „Für mich stand sofort fest: Das wird mein nächstes Projekt.“ Sie wollte einen TV-Film über die „Memory Books“ drehen, eine Doku für arte, den WDR oder das ZDF.

Graf arbeitet seit 15 Jahren als freie Fernseh-Autorin. Wie gewohnt schickte sie ihr Exposé an die Sender – und bekam nichts als Absagen: Tolle Idee, bleiben Sie dran! Aber Afrika? Aids? Nicht schon wieder.

Um sie aufzuheitern, schleppte eine Freundin Graf ins Kino. Die Frauen sahen „Rhythm Is It!“. „Vielleicht war ich größenwahnsinnig, vielleicht selbstbewusst, vielleicht einfach verzweifelt, aber ich dachte mir: Das kann ich auch.“ Graf beschloss, keinen Fernseh- sondern einen Kino-Film zu drehen. „Ich habe den Spieß einfach umgedreht, nicht mehr nach Auftraggebern gesucht, sondern gesagt: Ich mache einen Film fürs Kino – und wer macht mit? Das hat funktioniert.“

Mehrere Produzenten meldeten sich. Graf entschied sich für die Münchner Firma Kick Film – „weil’s am Ort ist“. Der ehemalige Leiter des Instituts für ärztliche Mission in Tübingen unterstützte ihr Projekt mit 4000 Euro – genug, um samt einem Kameramann nach Uganda zu fliegen.

Kaum gelandet, prallte Graf gegen eine Mauer der Ablehnung. „Mich wollte da keiner haben. Was, schon wieder ein Film?, haben die Leute gesagt. Schon wieder ein Reporter, der uns Afrikaner als Leidende darstellen will, die sich gegenseitig totschlagen? Das wollen wir nicht. Ich war fuchtsteufelswild – so abgelehnt haben die mich.“

Nach etlichen Anläufen, Geld-, Reis- und Seifenspenden bekam sie Christine vermittelt. Eine HIV-positive Krankenschwester, die anderen Müttern beibringt, wie man Memory Books schreibt – eine starke, hilfsbereite Frau. „Doch ihre Kinder waren schon aus dem Haus, sie hatte das Tief der Diagnose bereits überwunden.“ Die Münchnerin wollte festhalten, wie sich die Frauen beim Schreiben wieder aufrichten, ihren Blick – trotz des tödlichen Virus – wieder dem Leben zuwenden. Graf flog unverrichteter Dinge zurück.

In München lief es nicht besser. Die Filmförderung Bayern lehnte „Memory Books“ ab (später sprang Baden-Württemberg ein). Der Produzent mühte sich lange vergeblich um einen kooperierenden TV-Sender. Grafs Existenz stand auf dem Spiel. „Ich habe drei Jahre keinen Cent verdient.“ Doch Ihre Familie glaubte an sie: Der Ex-Mann ließ sie weiter in seinem Haus wohnen, die Söhne gaben ihr das Auto, Freunde liehen ihr Geld. Graf schrieb weiter E-Mails an Christine, die Hilfsorganisation Terre des Hommes vermittelte, langsam drehte sich die Stimmung in Uganda ins Positive.

Auf ihrer zweiten Vorbereitungsreise fand Graf endlich Frauen, die bereit waren, sich beim Verfassen der Memory Books filmen zu lassen. Beim dritten Trip nach Uganda wurde gedreht. „Das war wieder eine wahnsinnige Herausforderung – an allen Fronten“, sagt Graf. Denn ihre Protagonistinnen waren von der europäischen Crew eingeschüchtert, die Produktionsfirma pochte auf die vereinbarten Drehtage, „und nebenbei kann der Kameramann seine Kamera fast nicht mehr halten, und der Tonmann ist vor lauter Hitze auch am Ende“.

Als „Memory Books“ im September 2007 fertig war, verließen Christa Graf die Kräfte. „Ich war so nervös, so belastet.“ Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag: Die Filmbewertungsstelle verlieh „Memory Books“ das Prädikat „besonders wertvoll“. Der Film behauptete sich in der Vorauswahl zum Deutschen Filmpreis. Mitte Januar wurde er auf dem Solothurner Filmfestival gezeigt, Ende Januar erhielt er beim FIPA-Festival in Biarritz den Preis der Jugend-Jury. „Es gibt nichts Schöneres, als wenn die Arbeit, die man macht, die Menschen erreicht. Dann fühle ich mich ernst genommen und habe das Gefühl, ein Mosaiksteinchen für eine bessere Welt beigetragen zu haben“, sagt Graf heute zufrieden.

Zurück aus Berlin wird sich die Münchnerin wieder auf die Suche nach Geldgebern machen. 5000 Euro braucht sie, um ihren Film in Ugandas Hauptstadt im Kino zu zeigen und dann „mit einem Beamer, einer DVD und einem Betttuch“ über die Dörfer zu ziehen und die Doku den Frauen zu zeigen, die darin vorkommen. „Das habe ich versprochen“, sagt sie. „Das will ich halten.“ N. Kettinger

„Memory Books“ hat am am 20.2. in Stuttgart Premiere. Über ihre Recherchen veröffentlichte Christa Graf das Buch „Damit du mich nie vergisst“ (Malik, 18 Euro)

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