Eigene Spur, eigene Straßen: Bahn frei für Radler
Ihre Zahl wächst und wächst. Die Stadt reagiert und gibt ihnen mehr Platz: mit Radlerstraßen, Radlerspuren auf der Fahrbahn oder der Freigabe der Einbahnstraßen für Radler
München – Ob im Anzug mit Aktentasche, im atmungsaktiven Trikot oder mit zwei Kindern plus Dreirad im Anhänger – wohin man auch schaut: die Münchner sind mit dem Fahrrad unterwegs. Statistisch gesehen legen sie bereits 800.000 Wege am Tag mit dem Rad zurück, Tendenz steigend.
Die Folge des Booms: die Zweiradfahrer erobern zunehmend die Straße. Die rot-grüne Stadtregierung ebnet ihnen dabei den Weg – nicht immer zur reinen Freude der Autofahrer. So fühlt sich manch einer ausgebremst, wie jetzt auf der Lindwurmstraße, wo baustellenbedingt eine Autospur für Radler reserviert ist.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Verkehrsplanung vor allem an Autofahrern orientiert. Das ändert sich nun. Verkehrsexperten rechnen mit immer noch mehr Radlern. „Die verkehrliche Infrastruktur muss unbedingt mitwachsen und angepasst werden“, sagt Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle. Die KVR-Devise lautet: „Überall dort, wo es möglich ist, sollen Fahrradfahrer auf der Straße im fließenden Verkehr mitradeln dürfen.“ Derzeit prüft die Behörde in allen Stadtbezirken, wo Radler statt auf dem Radweg auf der Straße fahren dürfen.
Die Radwege, die überwiegend in den 70er/80er Jahre gebaut wurden, sind dem Andrang nicht mehr gewachsen. Tagtäglich kommt es zu gefährlichen Situationen: Unsichere Radfahrer fühlen sich von schnelleren bedrängt, sportliche Fahrer überholen mangels Platz rechts und gefährden Fußgänger. Autofahrer parken Radwege zu, reißen die Türen auf oder schauen sich beim Abbiegen nicht um. Beschimpfungen und Aggressionen sind an der Tagesordnung. Leider.
Erstaunlich ist, dass trotz einiger dramatischer Unfälle mit Radlern in der letzten Zeit (AZ berichtete) das Risiko für den Einzelnen gesunken ist, in einen Unfall verwickelt zu werden. „Würde man die Zahl der verletzten Radfahrer des ersten Halbjahrs 2012 hochrechnen, käme man fast auf den Wert von 2002, obwohl inzwischen 70 Prozent mehr Radfahrer unterwegs sind“, hat der KVR-Chef errechnet.
Auch der Auto Club Europa (ACE) kam nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) jetzt zu dem Schluss: „Je mehr Fußgänger, Radler und öffentlicher Personennahverkehr (in Städten), desto geringer ist das Risiko, einen folgenschweren Unfall zu erleiden.“
Mehr Raum und Sicherheit – mit diesen Maßnahmen ebnet die Stadt den Radlern den Weg:
Radeln auf der Straße: Trotz vorhandener Radwege dürfen Radler neuerdings vielerorts die Straße benutzen. „Wir appellieren an Autofahrer, das zu akzeptieren. Hupen, Vogel zeigen, abdrängen ist nicht der richtige Weg!“, mahnt KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle. An 47 Radwegen hat das KVR die „Benutzungspflicht“ aufgehoben: So in der Luisenstraße zwischen Königsplatz und Elisenstraße oder in der Ridlerstraße (Zufluss zur Westendstraße). Das blaue Radweg-Schild mit weißem Fahrrad ist abmontiert. Für Autofahrer ist die Neuregelung nicht immer erkennbar. Ab Oktober sollen große neue Schilder, die sich in Köln bewährt haben, über die neue Regel informieren.
Eigene Radlerspur: Auf stark befahrenen Straßen lässt das Baureferat extra Radlerspuren markieren. Neu sind zum Beispiel die Markierungen auf der Maximilianstraße oder Brienner Straße. Für 2012 sind noch geplant: Potsdamer/ Dietlindenstraße, Alte Riemer Straße, Leonrodstraße vom Ring bis zur Albrechtstraße. Auch an Ampeln und Kreuzungen gibt es neue Markierungen wie zum Beispiel in der Brienner Straße.
Offene Einbahnstraßen: In der Altstadt sind bereits 12 Einbahnstraßen für Radler freigegeben. Sie dürfen hier in beiden Richtungen fahren. Die Befürchtung, dass es vermehrt zu Unfällen kommt, hat sich in einer Testphase nicht bestätigt. Im gesamten Stadtgebiet haben Radler in 287 von 700 Einbahnstraßen (40 Prozent) freie Fahrt. Es sollen noch mehr werden: geplant sind 350.
„Die geöffneten Einbahnstraßen machen die Altstadt für Radler wesentlich durchlässiger“, freut sich Traudl Schröder vom ADFC. Bedingung für die Neuregelung: Tempo 30- Zone und eine ausreichend breite Fahrbahn, damit Platz zum Ausweichen bleibt. Schwerpunkt 2012 ist die Altstadt. Weitere zwölf Straßen wie die Westenriederstraße und die Josephspitalstraße werden derzeit geprüft.
Fahrradstraßen: Auch die Zahl der Fahrradstraßen wächst. Hier herrscht grundsätzlich Tempo 30, Radler haben Vorrang und dürfen nebeneinander fahren. 20 gibt es bereits: Etwa die Holledauerstraße, die Borschtallee oder die Margaretenstraße. Geprüft werden derzeit die Meindl- und Adalbertstraße.
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