Dieses 1700-Kilo-Ungetüm schuf die Münchner Ortszeit

MÜNCHEN - Die Uhren werden wieder umgestellt.Dazu passt diese kleine Zeit-Geschichte, in der die Preußen den Bayern noch um sieben Minuten voraus waren
Es ist die angenehmere Zeitumstellung. Schließlich gewinnen die Menschen eine Stunde – und die Uhren können einfach stehen bleiben. Früher war es einfacher, denn es gab gar keine Sommerzeit. Und komplizierter, denn bis Ende des 19. Jahrhunderts hatten verschiedene Orte unterschiedliche Zeiten. In Bayern richtete man sich nach der „Münchener Ortszeit“, in Preußen nach der „Berliner Zeit“ – die Preußen waren den Bayern um sieben Minuten voraus.
Die „Münchner Ortszeit“ wurde damals an den Türmen der Frauenkirche angezeigt. Das Uhrwerk ging besonders genau. Der Uhrmachermeister Johann Mannhardt (1798 – 1878) hatte es im Jahre 1842 in den Nordturm gebaut. Dort tickte die Uhr bis 1969. Vierzig Jahre später hievte man das 1700-Kilogramm-Uhrwerk aus dem Turm.
Heute steht es im Deutschen Museum, betreut von Uhrmacher Thomas Rebényi, der über den Kollegen Mannhardt sagt: „Er war ein genialer Tüftler und hat serienreif produziert, aber dann auch immer wieder an seinen Modellen nachgebessert.“ So seien unzählige Prototypen entstanden.
Das Besondere am Uhrwerk der Frauenkirche ist seine Modularbauweise: Es ist nicht, wie früher üblich, komplett in seinem Rahmen verschwunden, sondern die Räder und Rädchen sind leicht erreichbar. „Sehr wartungsfreundlich“, sagt Regényi.
Mit diesem technischen Meisterwerk gelang Mannhardt der Durchbruch. Hatte er bis 1842 etwa 80 Turmuhren gebaut, sollten danach noch knapp 2000 Exemplare folgen. Unter anderen die am Kölner Dom und am Roten Rathaus in Berlin.
Von der Sommerzeit ist die Uhr aus der Frauenkirche weitgehend verschont geblieben. Sie musste nur in 13 ihrer 127 Betriebsjahre umgestellt werden. Dann aber von Hand.
Auch Christine Rauscher von der Firma „Turmuhren Georg Rauscher“ aus Regensburg ist von Mannhardt begeistert. „Seine Uhrfabrik war der Rolls Royce unter den Turmuhrenbauern“, sagt sie. Die Uhrenspezialistin muss es wissen, ihre Firma hat das alte Uhrwerk für das Deutsche Museum restauriert.
Zudem hat die Firma Rauscher die Turmuhr in der Theatinerkirche gebaut. Es ist die einzige Kirchturmuhr in München, die noch mechanisch läuft. Was daran liegt, dass es auch die einzige Kirchturmuhr ist, die nicht von der Stadt München betrieben wird.
„Als die Uhren an die Stadt übergingen, wurde das hier verschlafen, jetzt müssen wir den Betrieb der Uhr selbst finanzieren. Deshalb ist es auch noch so ein altes Modell.", erklärt der Kirchenrektor Pater Klaus Obermeier.
Aber auch dieses alte Modell wird, wie die neuen modernen Uhrwerke, zentral umgestellt. Per Funksignal. In Braunschweig sitzt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB). Ihre Atomuhren geben die Zeit vor. „Das Signal geht auf der Frequenz 77,5 Kilohertz an alle Funkuhren des Landes, an Armbanduhren wie an Kirchturmuhren“, sagt Dr. Andreas Bauch, der Leiter der Arbeitsgruppe Zeitübertragung der PTB.
Pater Obermeier erinnert sich, dass der alte Mesner in der Theatinerkirche das nicht verstehen konnte. „Zwei Dinge hat er nie begriffen: Wieso man in ein Fußballstadion gehen kann, und dass alle Uhren umgestellt werden mussten, nur die im Turm nicht."Johan Kornder