Dieser Münchner wird 100 - und hat zwei Feiertage im Mai
Die Brille mit den dunkel getönten Gläsern trägt Alexander Nogaller seit ein paar Jahren dauerhaft. Er sieht nichts mehr. Sonst ist er für sein Alter außerordentlich fit, körperlich und geistig. Sein Erinnerungsvermögen reicht bis in die früheste Kindheit zurück und führt ins russische Riesenreich nach Moskau, wo er zur Welt kam, zur Schule ging und Medizin studierte.
Arzt eines mobilen Lazaretts im Zweiten Weltkrieg
Seine erste Begegnung mit Deutschland, das vor einem Vierteljahrhundert zu seiner neuen Heimat wurde, hatte Alexander Nogaller auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, als Hitler der Sowjetunion 1942 den Krieg erklärte. Als Arzt eines mobilen Lazaretts wurde er in der vordersten Frontlinie eingesetzt und erlebte die Schrecken des Krieges besonders intensiv mit.

Auf alten Fotos ist Alexander Nogaller vor der zerbombten und zerstörten Kulisse Berlins zu sehen. Dort erlebte er das Ende des Zweiten Weltkriegs mit. Der 9. Mai ist für ihn seitdem ein Feiertag, der auch in seinem neuen Leben in München eine Rolle spielt. Dieses Datum ist für eine Veranstaltung im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern reserviert. An diesem Tag treffen sich dort aus der Sowjetunion stammende Veteranen, die in München leben und einen Hintergrund haben, der ihnen das Leben nicht immer leicht machte. Sie sind Juden. Dieses Jahr ist die Feier coronabedingt ausgefallen.
Viele Orden für seinen Einsatz im Krieg
Auch Alexander Nogaller hat diesen Hintergrund. In seiner Kindheit und Jugend, auch noch in den ersten Jahren nach dem Krieg, sei dies nicht mit antisemitischen Erscheinungen verbunden gewesen, erinnert er sich. Immerhin hatte er für seinen Kriegseinsatz eine ganze Reihe von Orden und Auszeichnungen erhalten, tat sich aber bei der Jobsuche als Arzt zunächst trotzdem außerordentlich schwer. Jetzt, zurückblickend auf sein berufliches Leben, fällt die Bilanz mehr als zufriedenstellend aus.

Alexander Nogaller ist Professor und zweifacher Doktortitel-Träger, leitete Kliniken im Kaukasus und in Moskau, gilt als international anerkannter Darm- und Magenspezialist. Zu Vorträgen und Fachkongressen kam er auch mehrfach nach Deutschland. Hier hat er zwar nicht mehr praktiziert, aber eine ganze Reihe von Fachbüchern geschrieben – und Hunderte Beiträge für wissenschaftliche Magazine. Nach dem Verlust seiner Sehkraft ist das nur noch mit Hilfe möglich.
Frau und Tochter wählen Israel als neue Heimat
Ein Vermögen, ein eigenes Haus, Luxus: Sowas hat im sozialistischen System der Sowjetunion keine Rolle gespielt. Alexander Nogaller, der wegen seines jüdischen Hintergrunds Mitte der 1990er Jahre als sogenannter Kontingentflüchtling in Bayern landete, in Fürth, dann in Bamberg und seit 2009 in München, lebt auch hier in bescheidenen Verhältnissen.
Seine Frau (†2006), die er seit Jugendzeiten kannte und die selbst Ärztin war, wollte ihm nicht hierher folgen. Sie und ihre Tochter wählten Israel als neue Heimat, der Sohn und seine Familie folgten dem Vater. Sohn Vladimir, Systemadministrator in einem Münchner Unternehmen, kümmert sich um ihn – und Irina. Sie ist Freundin und Lebenspartnerin des heute Hundertjährigen.
Für Vladimir Nogaller steht mit Blick auf das Coronavirus eines fest: "Sobald es möglich ist, wird die Geburtstagsfeier für meinen Vater nachgeholt."
Daran wird auch ein nur unwesentlich jüngerer ehemaliger Kamerad aus Kriegszeiten teilnehmen, der in München lebt: David Dushman. Er trainierte nach dem Krieg die sowjetischen Fechterinnen, die unzählige Medaillen holten. Im Krieg fuhr er einen Panzer. Er war derjenige, der den Zaun von Auschwitz niederwalzte.
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