"Die Zeichen standen alle schon auf Abschied": Wie München fast wieder ein Traditionsgeschäft verloren hätte

Dass in München Traditionshäuser, die die Landeshauptstadt jahrzehntelang ihr Zuhause nennen konnten, plötzlich aus dem Stadtbild verschwinden, ist mittlerweile leider keine Seltenheit mehr. Nun hätte es fast das nächste Unternehmen mit langjähriger München-Historie erwischt.
Viele Wochen klebten in den Schaufenstern des Musikhauses Hieber Lindberg in der Sonnenstraße violettfarbene Plakate mit den Worten "Wir ziehen um – Räumungsverkauf."
Ortsbesuch an einem Dienstagvormittag
Anfang Juni, kurz nach 11 Uhr. Im Laden tummeln sich etwa ein Dutzend Kunden. Auch im Laden hängen überall die "Räumungsverkauf"-Plakate. Ein junges Pärchen interessiert sich für eine Blockflöte. Nach einer kurzen Beratung darf die junge Dame in einem kleinen Proberaum ihrem möglicherweise neuen Instrument die ersten Töne entlocken. Dass man hier vor Ort die Instrumente ausprobieren kann, gehört im Traditionshaus im wahrsten Sinne des Wortes zum guten Ton.
Hieber Lindberg – Nach über 100 Jahren wäre fast Schluss in München gewesen
Doch beinahe wäre damit in München Schluss gewesen. Seit fast 20 Jahren findet man Hieber Lindberg in der Sonnenstraße 15. Damals, im Jahr 2006, fusionierten die beiden Musikhäuser Hieber am Dom und Ernst Lindberg in der Sonnenstraße. Daraus hervorgegangen ist das neue Musikhaus Hieber Lindberg. Die Geschichte der beiden Musikhäuser ist sogar noch um einiges älter.

1884 gründete der Geiger und Hofmusiker Max Hieber das Musikgeschäft Hieber und der angeschlossene Musikverlag. Bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gastierte das Stammhaus am Marienplatz. 1945 folgte daher der Umzug in die Kaufingerstraße in unmittelbarer Nähe des Frauendoms. Während man sich zunächst auf Noten und Schallplatten spezialisierte, kamen 1968 die ersten Musikinstrumente dazu. 1987 übernahm Hieber das Notenhaus Bauer und wurde somit zum größten Notenhaus Deutschlands.
Die Ernst Lindberg GmbH wurde 1924 von Konsul Lindberg gegründet. In der Sonnenstraße 15 wurden seit damals neben Musikinstrumenten und Noten auch Schallplatten, Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte an.
Sechsstellige Monatsmieten und sinkende Gewinne brachten das Musikhaus in Finanznöte
Letztes Jahr feierten Hieber und Lindberg also 140-jähriges bzw. 100-jähriges Jubiläum in München. Fast wären es die letzten Jubelfeste der Traditionshäuser gewesen. Denn Hieber Lindberg plagen schon länger finanzielle Sorgen, die beinahe das Aus in München bedeutet hätten.
Monatsmieten in sechsstelliger Höhe waren für das traditionsreiche Musikhaus einfach nicht mehr zu stemmen. Rückläufige Gewinnmargen und der Onlinehandel als schwergewichtiger Kontrahent, setzten Hieber Lindberg in den letzten Jahren ebenfalls zu. "Früher habe sich die Leute ihre Instrumente noch im Laden gekauft, mittlerweile holen sie sich das oftmals online", so Helmuth Klein (61) im Gespräch mit der AZ. Der 61-Jährige arbeitet seit 1984 für das Musikhaus, hat sich in diesen 41 Jahren nach seiner Ausbildung vom Verkäufer auf Provisionsbasis bis zum angestellten Geschäftsführer hochgearbeitet.

Wie sehr ihm in dieser Zeit sein Musikhaus ans Herz gewachsen ist, schwingt in jedem Satz hörbar mit. "Unser Musikhaus ist etwas ganz Besonderes. Wir sind das einzige Vollsortiment-Musikhaus, dass man europaweit in den großen Städten noch in der Innenstadt finden kann", erzählt Klein voller Stolz.
Doch dieser Status stand in den vergangenen Monaten auf der Kippe, denn man konnte sich die aktuellen Räumlichkeiten finanziell einfach nicht mehr leisten. Zusammen mit seinen Kollegen Andreas Dick und Sylvia Gredner suchte Klein monatelang nach neuen Räumlichkeiten in München, die zum einen genug Platz für all die Instrumente und zum anderen eine bezahlbare Miete bieten konnten.
Der Umzug ins 70 Kilometer entfernte Reichertshofen drohte
Trotz intensivster Bemühungen sollte man nichts Passendes finden und dem Traditionshaus drohte nach über 100 Jahren der endgültige Wegzug aus München. Als letzten Ausweg gab es nur noch den Umzug ins 70 Kilometer entfernte Reicherstshofen (Landkreis Pfaffenhofen), wo der Gesellschafter Alfred Loib mit seiner Familie ausreichend große Räumlichkeiten zur Verfügung hatte. "Die Zeichen standen alle schon auf Abschied aus München", so Helmuth Klein. Die stressigen Wochen nagten an dem 61-Jährigen und seinen Kollegen in der Geschäftsführung, aber auch an allen anderen Mitarbeitern, 58 an der Zahl. "Die letzte Zeit war ziemlich schwierig, nicht nur für mich, sondern auch für das gesamte Team."

Als man sich so langsam an den Gedanken gewöhnen musste, dass Hieber Lindberg seine Zelte in München nach über einem Jahrhundert endgültig abbaut, erhielt die Geschäftsführung einen erlösenden Anruf. Ein Bekannter erzählte ihm von Räumlichkeiten, die für das Musikhaus perfekt geeignet seien. Und das Besondere daran: diese Räume befanden sich nicht nur in München, sondern auch nur zwei Hausnummern weiter in der Sonnenstraße 19, nur 70 Meter statt 70 Kilometer. Für die passionierten Musiker – Klein spielt selbst mehrere Instrumente – darunter Trompete, Saxophon und Klavier, Andreas Dick ist nebenbei noch als Schlagzeuger tätig – ging ein Wunsch in Erfüllung.
Mit dem potenziellen Vermieter wurde man sich schnell einig. "Die Mieten sind nur halb so hoch und der neue Vermieter wollte unbedingt ein Vorzeigegeschäft in seinen Räumlichkeiten haben. Es war so etwas wie göttliche Fügung", so Klein zur AZ.

Mit dem alten Vermieter konnte man sich nach monatelangen Gesprächen auf eine vorzeitige Auflösung des bis Mitte 2030 bestehenden Mietvertrages einigen, womit dann auch die drohende Gefahr einer Insolvenz gebannt war. Und nach dem Alfred Loib und seine Tochter als Gesellschafter dem Umzug innerhalb Münchens ihren Segen gegeben haben, stand dem Neustart von Hieber Lindberg nichts mehr im Wege.
Nach dem Umzug deutlich kleiner, aber weiterhin in München
Am 1. Juli, mit dem Beginn des neuen Geschäftsjahres, öffnet Hieber Lindberg sein neues Musikgeschäft dann in der Sonnenstraße 19, wenn auch – als kleiner Wermutstropfen – in etwas abgespeckter Version. Denn anstatt den bisher 2800 Quadratmetern Ladenfläche sind es künftig nur noch 1800, die dem Musikhaus zur Verfügung stehen. "Das Ganze wird etwas kompakter und wir können nicht mehr so viele Instrumente ausstellen wie bisher, aber dafür können wir in München bleiben und müssen uns auch von niemandem trennen", so Helmuth Klein sichtlich glücklich. "Man kann es kaum beschreiben, wie sehr sich unsere Angestellten darüber gefreut haben, dass wir München nicht verlassen müssen und unser Neustart nur zwei Häuser weiter sein wird."

Und damit dieser Neustart pünktlich beginnen kann, wurde in den vergangenen Tagen fleißig gewerkelt und das sogar an Fronleichnam und am Wochenende. Zahlreiche Kartons und Instrumente wurde gepackt und in die neuen Räumlichkeiten getragen. Von der Plastikbox voll mit Plektren, über Blockflöten und Saxophonen, Notenblättern oder DJ-Mischpulten bis hin zur großen Hammond-Orgel wurden über 70.000 Stücke sorgfältig und vorsichtig umgezogen, quasi ein Umzug mit – im wahrsten Sinne des Wortes – Pauken und Trompeten. "Allein die Summe für die Musikinstrumente beläuft sich auf über drei Millionen Euro", so Klein.
Neben der ganzen Schlepperei mussten auch Regale ab- und zwei Häuser weiter wieder aufgebaut und eingeräumt werden. Büros mussten umgezogen, Rechner und sonstige Elektronik angeschlossen, Wände und Decken frisch geweißelt werden.
"Die letzten Wochen und Monate waren sehr stressig und die Kräfte lassen so langsam nach"
Wenn die Geschäftsführer nicht mit Planungen, Telefonaten oder Schriftverkehr beschäftigt sind, legen sie beim Umzug selbst mit Hand an, Pakete und Instrumente schleppen und Wände neu streichen. Bei Temperaturen um die 30 Grad eine schweißtreibende Arbeit. Aber trotz Schweißperlen auf der Stirn ist der 61-jährige Klein sichtlich glücklich, dass der unvermeidliche Umzug nun doch nur einige Meter die Sonnenstraße runter ist und nicht weit hinaus in die bayerische Pampa.

"Die letzten Wochen und Monate waren sehr stressig und die Kräfte lassen so langsam nach, aber jetzt bin ich heilfroh, dass sich doch alles noch zum Guten gewendet hat", so Klein, der sich neben den Umzugsplanungen eben schnell auch mit einem defekten Transporter beschäftigen muss, der bei der Auslieferung von Instrumenten plötzlich nicht mehr anspringen wollte. "Solche Dinge kommen dann halt auch noch dazu", so Klein, der aber auch dieses Problem mit ein paar Anrufen aus der Welt schafft.
Währenddessen ist man dabei, die Prunkstücke des Musikhauses, die Flügel, vorsichtig über die Herzog-Wilhelm-Straße ins neue Domizil zu rollen. Je nach Größe wiegen die Instrumente zwischen 300 und 500 Kilogramm. Im Moment stehen sie noch wie an einer Perlenkette aufgereiht im neuen, klimatisierten Showroom. Wenn alle Klaviere und Flügel dann fein säuberlich aufgestellt sind, beginnt für Julian Motyczka die eigentliche Arbeit.

Nach dem Umzug müssen alle Klaviere neu gestimmt werden
Als Klavierbaumeister ist er dafür verantwortlich, dass die kostbaren Instrumente, darunter unter anderem ein hochwertiger Konzertflügel des italienischen Herstellers Fazioli im Wert von über 100.000 Euro, wieder korrekt gestimmt werden. "Normalerweise wartete man nach einem Umzug damit etwa sechs bis acht Wochen, damit sich der Flügel in der neuen Umgebung akklimatisieren kann, aber nach dem Umzug muss ich etwas früher damit anfangen und in ein paar Wochen dann nochmal", so Motyczka. "So ein Flügel lebt, das verarbeitete Holz dehnt sich bei unterschiedlichen Temperaturen aus oder zieht sich wieder zusammen, das hat dann natürlich auch Auswirkung auf den Klang", erklärt der Klavierbaumeister, der seinem Metier mit Inbrunst nachgeht.

Knapp eine Woche Zeit bleibt noch, die restlichen Instrumente und das übrige Inventar in die neuen Räumlichkeiten zu bringen und dort dann alles aufzubauen. "Noch gibt es einiges zu tun, aber ich bin sehr optimistisch, dass wir das bis Ende des Monats alles hinbekommen", zeigt sich Klein zuversichtlich, der gegenüber der AZ immer wieder betont, wie stolz er auf sein gesamtes Team ist, das gemeinsam das alles andere als stressfreie letzte Halbjahr gemeistert hat.