Die stillste WG Münchens – und keiner weiß, was hier wirklich passiert
Wenn Jan-Patrick Fischer von der Arbeit nach Hause kommt, schaut er nicht fern, sondern er schreibt. Über das kleine Land Osttimor, sein Heimatdorf Markt Schwaben oder über die Rohingya, eine muslimische Volksgruppe in Myanmar. Etwa zwölf Stunden pro Woche steckt er in dieses Hobby: Wikipedia.
Die Wikipedia in München
Fischer ist einer von etwa 6000 Menschen, die jeden Monat ehrenamtlich in der deutschsprachigen Wikipedia aktiv sind. Ihre Texte lesen Hunderttausende – oft ohne zu wissen, wer dahintersteckt.
In München wird diese unsichtbare Community sichtbar: im "WikiMUC", dem Wikipedia-Büro im Glockenbachviertel.
In dem großen, lichtdurchfluteten Raum treffen sich die sogenannten Wikipedianer an einem langen Holztisch, feilen an Texten, scannen Fotos ein oder führen Neulinge in die Wikipedia ein. "Man kann hier alles ausprobieren – kaputtmachen kann man nichts", sagt Fischer.
Organisiert wird das WikiMUC von einer kleinen Gruppe engagierter Freiwilliger. Fünf Menschen bilden den Kern, sie kümmern sich um die Organisation, Veranstaltungen und die Abrechnung gegenüber dem Trägerverein Wikimedia Deutschland. Der Münchner Wikipedia-Treff ist der älteste der Welt.

Rundherum gibt es viele, die regelmäßig vorbeischauen: um einen Stammtisch zu organisieren, Projekte zu betreuen oder einfach gemeinsam an Artikeln zu arbeiten. Jeden Mittwoch ab 19 Uhr gibt es einen offenen Abend zum Austauschen und Kennenlernen.
Eine Hierarchie gibt es nicht. "In der Wikipedia passiert nichts, wenn nicht jemand Lust darauf hat", sagt Fischer. Niemand verteilt Aufgaben, alles entsteht aus Eigeninitiative – vom römischen Kaiser bis zum bayerischen Dorf. Wer etwas vermisst, schreibt es selbst.
Irgendwann packt es einen
So kam auch Fischer vor etwa 20 Jahren zu Wikipedia. Beruflich ist er Chemiker, er ist verheiratet und hat ein Kind. Er trägt einen dunklen Rollkragenpulli, Brille und eine Jeans, an deren Gürtelschlaufen eine silberne Kette hängt. Er liest gerne Manga, hört irischen Folk und hat eine große Leidenschaft: Osttimor, ein Inselstaat in Südostasien.
Nach einer Reise dorthin recherchierte er intensiv. Auf Wikipedia war damals wenig zu finden. "Ich sah: Das stimmt nicht, das fehlt, das kann man ergänzen, da habe ich ein Foto, dort kann man eine Formulierung verbessern", sagt Fischer. "Und irgendwann packt es einen." Mittlerweile hat er Tausende Artikel rund um Osttimor verfasst.
"Es macht Spaß, etwas zu erschaffen", sagt Fischer. Zu sehen, dass seine Artikel gelesen werden, motiviert ihn. Viele Journalisten aus Osttimor folgen ihm auf Facebook, wo er neue Einträge teilt. "Manchmal sehe ich, dass ein Nachruf exakt der Reihenfolge in meinem Wikipedia-Artikel folgt. Oder sie nutzen meine Fotos aus Wikimedia Commons, wenn sie Bilder brauchen", sagt er. "Das ist ein schönes Gefühl. Und es motiviert mich, weiterzumachen."
Grokipedia als Konkurrenz?
Im Oktober 2025 startete Elon Musk "Grokipedia", eine KI-generierte Online-Enzyklopädie. Sie soll ein konservatives Pendant zu Wikipedia sein, das Musk als "Wokepedia" bezeichnet und "von linksradikalen Aktivisten kontrolliert" sieht.
Eine ernsthafte Konkurrenz sieht Fischer darin nicht. "Man weiß dort oft nicht, woher Informationen stammen oder ob Quellen korrekt wiedergegeben sind", sagt er. "Wikipedia ist transparent: Man sieht, wer was geschrieben hat, woher die Infos stammen, ob darüber diskutiert wurde. Alles ist nachvollziehbar."
"Wikipedia ist ein Gemeinschaftsprojekt, das von der Welt getragen wird. Ohne Bezahlung, ohne kommerziellen Druck", so Fischer. Die Plattform lebt von Menschen, die ihre Freizeit investieren, um Wissen zu teilen. Fischer ruft dazu auf, mitzumachen: über das eigene Viertel zu schreiben, einen Absatz zu ergänzen oder ein Foto hochzuladen. Damit das Wissen der Welt frei und zugänglich bleibt – für alle.
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