Die Piratenpartei entert den Marienplatz
MÜNCHEN - Den etablierten Parteien haben sie Themen wie Internet-Freiheit und Datenschutz weggeschnappt – das kommt bei jungen Wählern gut an. Und das, obwohl das Piraten-Programm sehr einseitig ist.
Es ist Samstag, 11 Uhr, als die Piraten den Marienplatz entern. Die orange Flagge flattert im Wind neben dem weißen Pavillon. „Lass dich überwachen“ heißt ihre Aktion. Es geht um den Verlust der Privatsphäre – zum Beispiel durch die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen wie dem Marienplatz.
33 Stunden lang wollen Johannes Weis und einige andere Aktivisten als gläserne Bürger auf dem Marienplatz leben – während Passanten zum Shoppen gehen und Touristen sich das Glockenspiel vorm Rathaus anhören. Sie sind gegen Kontrollen und Einschränkungen im Internet. Und für den Datenschutz. Deshalb haben Johannes und Aileen Weis einen Pavillon auf dem Marienplatz errichtet. Sie wollen hier ganz normal leben – kochen, essen, lesen, schlafen. Und damit zeigen, wie die Privatsphäre der Deutschen verloren geht.
„Irgendwann fängt man an, die Leute zu ignorieren. Aber genau das ist das Gefährliche, wenn man die Überwachung ignoriert“, sagt Johannes Weis. Der 22-Jährige ist seit drei Monaten Mitglied der Piraten in Bayern.
Das Durchschnittsalter der Piraten liegt bei 29 Jahren
Eigentlich war die Piratenpartei bislang eher ein Haufen versprengter Software-Entwickler oder Internet-Freaks. Keiner nahm sie ernst. Doch dann schnappten sich die Piraten Themen wie Datenschutz, Rechte im Internet und innere Sicherheit. Sie fordern, dass Musik, Filme und Texte im Internet für den Privatgebrauch kostenlos kopiert werden dürfen. Sie sind für den freien Zugang zu Wissen und Kultur. Die anderen Parteien sehen ganz alt aus – im wörtlichen Sinne: Das Durchschnittsalter bei den Piraten liegt bei 29 Jahren. Vor allem junge Menschen fühlen sich deshalb zur Partei hingezogen. Bei der Europawahl im Juni erreichten sie aus dem Stand 0,9 Prozent. Und bei den Bundestagswahlen?
Kann es sein, dass die Piraten ähnlich belächelt wurden wie einst die Grünen? Die Öko-Partei ist seit den 80er Jahren eine feste Größe in der Parteienlandschaft.
„Die Ziele der Piratenpartei werden von anderen Parteien nicht so konsequent verfolgt“, sagt Johannes Weis. Die großen Parteien machen seiner Meinung nach bei den Themen Datenschutz und Bürgerrechte nur allzu gerne Zugeständnisse.
Und dennoch: Die Piraten kämpfen nicht nur mit den etablierten Parteien, sondern auch mit sich selbst: Wie geht man zum Beispiel mit umstrittenen Parteimitgliedern um? Es gab im Juli den Fall eines Rechtsextremisten, der in Internet-Foren schrieb, dass Hitler keinen Krieg gewollt und Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen habe. Die Führung der Piraten zögerte lange, bevor sie ein Ausschlussverfarhen gegen ihn einleitete.
Neu-Pirat Jörg Tauss steht unter Kinderporno-Verdacht
Und dann gibt es noch Jörg Tauss, gegen den ein Verfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie läuft. Der ehemalige SPD-Mann verließ seine alte Partei und heuerte bei den Piraten an. Heute betont er, wie froh er sei, dass bei den Piraten noch die Unschuldsvermutung gelte. Dennoch: Im politischen Geschäft kostet ein Kinderporno-Verdacht Stimmen.
Bislang lassen die Piraten Jörg Tauss einfach machen. Auch bei der Piraten-Aktion in München ist er dabei, unter seinem grauen Politiker-Hemd trägt er ein lässiges schwarzes T-Shirt, auf dem ein Logo der Piratenpartei prangt. Tauss ist ein Polit-Profi – und das ist der Nutzen für seine neue Partei, die sich mit Wahlkampf überhaupt nicht auskennt. Gut gelaunt plaudert Tauss auf die Passanten ein, auch die Pavillon-Bewohner hängen sich jetzt richtig rein und verteilen ihre Flyer. Später schreibt Tauss über das Kommunikations-Portal Twitter: „trotz Regen gute Stimmung in München am ,gläsernen Haus’“.
Aufdem Marienplatz gibt es aber auch Skeptiker: „Ich finde das Programm einseitig“, sagt Hermann Veit, als er sich den Infostand genauer ansieht. „Die Forderungen sind ja berechtigt, aber mir fehlen Themen wie Arbeitsplatzbeschaffung, soziale Absicherung und Umwelt.“ Ein Vorwurf, den die Piraten häufig hören. Für Veit steht fest: „Momentan sind sie für mich nicht wählbar.“ Dennoch sagt der Lehrer: „Ich habe wenig politisch aktive Schüler. Der Einsatz der Piraten ist schon toll.“
Auch Josef Braun schaut sich die Piraten mal aus der Nähe an: „Der Name Pirat hat mich neugierig gemacht“, sagt er. „Piraten sind Räuber, die stören. Die nehmen den Leuten was weg. Da habe ich mich gefragt: Warum heißen die so?“ Der Rentner ist von der Politik enttäuscht: „Die Politiker tun seit 60 Jahren nichts.“ Der Sudetendeutsche sieht seine Interessen nicht vertreten. Doch die Piraten müssen den 71-Jährigen enttäuschen. Die Partei sei noch zu jung, um sich zu solchen Themen zu äußern.
Isabelle Modler
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