Die Ohnmacht der Mitschüler

„Hört doch auf!“ fleht eine Kameradin die drei Schweizer Schläger an, als sie auf ihre Opfer losprügeln – doch keiner kann den Gewaltexzess stoppen, der wegen 20 Euro ausgebrochen ist.
von  Abendzeitung
Der Prozess gegen die drei Schweizer Schläger geht zu Ende
Der Prozess gegen die drei Schweizer Schläger geht zu Ende © az

MÜNCHEN - „Hört doch auf!“ fleht eine Kameradin die drei Schweizer Schläger an, als sie auf ihre Opfer losprügeln – doch keiner kann den Gewaltexzess stoppen, der wegen 20 Euro ausgebrochen ist.

Zum ersten Mal seit dem 30. Juni 2009 sahen sie sich wieder. Jenem Tag, an dem Mike B., Benji D. und Ivan Z. fünf Passanten am Sendlinger Tor brutal verprügelt haben. Gestern sagten im Prozess gegen die drei Schweizer ehemalige Mitschüler aus. Ihren ehemaligen Klassenkameraden wird versuchter Mord vorgeworfen.

Warum hat keiner der Schüler eingegriffen, als ihre Kameraden einen „Amoklauf ohne Waffen“ (Staatsanwaltschaft) starteten? Die Anklageschrift, aus der der Schweizer Tagesanzeiger zitiert, zeigt, dass die anderen Schüler nicht wegschauten – aber sie griffen nur mit Worten ein. Benji, Mike und Ivan waren mit der 10. Klasse der Berufsschule Küsnacht aus dem Kanton Zürich auf Klassenfahrt in München. Der Abend des 30.Juni begann harmlos, Schüler saßen gemeinsam im Nussbaumpark. Einige gingen in einen Stripclub, andere kifften, einige knutschten.

Mit den drei Mazedoniern, die im Park Schach spielten und die ersten Opfer wurden, habe man noch herumgealbert, geben Zeugen an. Einer der Schläger soll sogar ein Liedchen mit seinen späteren Opfern geträllert haben. Doch dann ging alles ganz schnell. Mike B. hatte seinen Geldbeutel verloren – das machte ihn aggressiv. Seine Ansage: „Schlömmer diä Penner“ (Schlagen wir die Penner).

Zeuge Josef K. half Mike, den Geldbeutel zu suchen. Doch da hatten Mike, Benji und Ivan bereits die drei Mazedonier bewusstlos geprügelt. Josef K. rief die Polizei. Kurz nach Mitternacht fand er sogar Mikes Geldbeutel, 20 Euro waren drin.

Als die Schläger durchdrehten, soll eine Klassenkameradin sie angefleht haben: „Hört doch auf!“ Es half nichts. Vor dem ADAC-Gebäude zertrümmerten sie Versicherungskaufmann Wolfgang O. mit Fußtritten das Gesicht. Der Familienvater muss sich noch immer Operationen unterziehen.

„Aus allen Löchern“ habe der Mann geblutet, gibt eine Klassenkameradin an. Ein albanischer Mitschüler schreit: „Was macht ihr da!“ Dann bricht er in Tränen aus. Andere Jugendliche versuchen, den Schwerverletzten anzusprechen. Dann eilen sie zur Jugendherberge zurück.

Dort prahlen die drei mit ihren Taten. Auf der Sonnenstraße hatten sie noch einen 27-jährigen Studenten, ihr fünftes Opfer, niedergeschlagen. Mitschüler sind entsetzt: „Ihr seid Psychos“. Der albanische Mitschüler drückt einen der Schläger gegen die Wand. Fast kommt es zur Rangelei. Dann rückt die Polizei an.

Benji, Mike und Ivan haben auch am vierten Prozesstag geschwiegen. Ein Geständnis würde sich wohl strafmildernd auswirken. Gerichtssprecherin Margarete Nötzel: Dass nichts gesagt werde, sei „eher ungewöhnlich“ und „riskant“ hinsichtlich des Strafmaßes. Der Tathergang muss auch anhand der Aussagen der Mitschüler rekonstruiert werden. Was die beobachtet haben, dürfte die Schläger wohl weiter belasten. Anfang April sollen die Plädoyers erfolgen. Reinhard Keck

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