Interview

"Die Leute wollen weg vom Digitalen" – dieser neue Dating-Trend erobert München

"Kennt ihr schon…?" nennt sich das Event, bei dem man anderen seine Single-Freunde vorstellt. Auch am 11. August kann man in München so wieder Leute kennenlernen. Was steckt hinter dieser neuen Art des Datings?
Imke Rauhut |
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"Es ist ein gemeinsames Dating. Und die Nachfrage ist groß", sagt Gründerin Betül Büsra (33) über ihr Event "Kennt ihr schon…?".
"Es ist ein gemeinsames Dating. Und die Nachfrage ist groß", sagt Gründerin Betül Büsra (33) über ihr Event "Kennt ihr schon…?". © Paul Hense
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Gründerin Betül Büsra (33) aus Köln erzählt im Interview mit der AZ, wie der Frust übers Online-Dating sie auf die Idee brachte und inwiefern die Dating-Kultur im Wandel ist.

Betül Büsra über die Geburtsstunde von "Kennt ihr schon…?"

Bei "Kennt ihr schon …?" präsentiert man auf einer Bühne seine Single-Freunde und verkuppelt sie. Das klingt schon etwas skurril. Wie kam es zu dieser Idee?
BETÜL BÜSRA: Es fing damit an, dass ich es tatsächlich geschafft habe, dieses Online-Dating durchzuspielen. Ich habe mir letztes Jahr auf den Rat einer Freundin hin Bumble installiert. Eigentlich war ich immer gegen dieses digitale Dating. Aber ich dachte mir, ich gebe dem Ganzen nochmal eine Chance. Na ja, dann wurde mir irgendwann einfach niemand mehr angezeigt. Also fragte ich mich: Was mache ich denn jetzt? Was mich so sehr am Online-Dating stört, ist dieses Aufgesetzte, weil man sich selbst darstellen muss. Genau davon wollte ich wegkommen. Auf Instagram habe ich dann einen Beitrag gesehen, bei dem Freunde sich gegenseitig ihre Urlaube präsentiert haben. Da dachte ich mir, das lässt sich doch bestimmt aufs Dating übertragen. Nebenbei liebe ich es, zu organisieren und zu moderieren. Und das war die Geburtsstunde von "Kennt ihr schon…?".

"Kennt ihr schon...?" Deshalb ging das Event plötzlich "durch die Decke"

Wie kam es dann zum ersten Event?
Das fand am 28. Oktober 2024 statt. Eigentlich hätte es im September schon stattfinden sollen, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich gar keine Ahnung, wie man Marketing macht. Es ist ein ganz neues Konzept, und die meisten sind erstmal skeptisch. Bis September hatte ich also nur zwei Tickets verkauft. Ich habe den Termin dann auf Oktober verschoben und es mit Mühe und Not tatsächlich geschafft, 27 Leute für den Abend zu bekommen. Beim zweiten Event haben wir dann schon die 60-Personen-Marke geknackt. Da hat die Mundpropaganda geholfen. Außerdem kam "kugelzwei" vom WDR vorbei und hat ein Reel gedreht, was dazu geführt hat, dass das Event durch die Decke ging. Irgendwann kam noch mehr Presse hinzu, und wir erhielten sogar Anfragen aus anderen Städten. Und der Rest ist Geschichte.

"Die Idee ist ja eigentlich, dass ich auf diese Weise meinen Mr. Right antreffe"

Wie läuft denn so ein Abend ab?
Es fängt damit an, dass ich die Entstehungsgeschichte erzähle, alles erkläre und nochmal auf die Spielregeln hinweise. Mir ist es nämlich wichtig, einen Safe-Space zu schaffen. Danach geht es auch schon los mit den Präsentationen. Jede und jeder hat fünf Minuten Zeit, um eine oder mehrere Personen vorzustellen. Das ist aber von Abend zu Abend unterschiedlich. Mal geht es allein um die Präsentationen, ein anderes Mal gibt es erst Präsentationen und später Zeit zum Interagieren. Das hängt tatsächlich vom Publikum und deren Laune ab. Bei den Events in Köln werde ich am Ende schließlich auch nochmal vorgestellt. Die Idee ist ja eigentlich – und ich weiß, das klingt kitschig – dass ich auf diese Weise meinen Mr. Right antreffe. Und was wäre schöner als sagen zu können, ich habe ihn auf meinem Dating-Event kennengelernt?

Betül Büsra: "Ich will so wenig Vorgaben wie möglich machen" 

Wie bereitet man sich denn am besten auf so ein Event vor?
Tief einatmen, tief ausatmen. Die besten Kinderfotos heraussuchen, die man vom Freund oder von der Freundin hat. Dann die Präsentation zusammenbasteln. Je persönlicher, desto schöner ist es. Wichtig ist, die Kontaktdaten nicht zu vergessen. Da kann man auch ganz kreativ sein. Jemand hat sogar mal eine eigene E-Mail-Adresse fürs Event eingerichtet. Also wie sich die Leute kontaktieren, ob direkt vor Ort oder anders, ist ganz ihnen überlassen. Deshalb will ich auch so wenig Vorgaben wie möglich machen. Die Präsentation sollte man mir vorher aber schicken, damit ich sichergehen kann, dass sich an die Regeln gehalten wurde. Danach steht dem Glück eigentlich nichts mehr im Wege. Wenn ich die Erlaubnis erhalte, lade ich die Präsentationen später hoch, damit sie als Inspirationen für andere dienen können.

Worauf muss man denn achten?
Man sollte die Spielregeln einhalten, die es auch auf unserer Website nachzulesen gibt. Ich möchte einfach nicht, dass jemand bloßgestellt wird und sich unwohl fühlt. Am Ende des Tages stellen sich die Leute hin und öffnen sich damit, dass sie Single sind. Diese Vulnerabilität muss unbedingt gewahrt werden. Wobei man natürlich auch einander necken darf – aber immer mit einem Augenzwinkern.

"Wichtig ist, dass man das respektvoll und wertschätzend macht"

Muss es denn immer eine Präsentation sein?
Das ist das Ding. Ich biete die Bühne – was die Leute machen, liegt komplett an ihnen. Es hat auch schon jemand ein Gedicht vorgetragen. Ich warte aber noch darauf, dass jemand eine Musikperformance macht. Das würde ich schon sehr feiern.

"Die Idee ist ja eigentlich – und ich weiß, das klingt kitschig – dass ich auf diese Weise meinen Mr. Right antreffe. Und was wäre schöner als sagen zu können, ich habe ihn auf meinem Dating-Event kennengelernt?", sagt Betül Büsra.
"Die Idee ist ja eigentlich – und ich weiß, das klingt kitschig – dass ich auf diese Weise meinen Mr. Right antreffe. Und was wäre schöner als sagen zu können, ich habe ihn auf meinem Dating-Event kennengelernt?", sagt Betül Büsra. © Fraitag

Kann man auch spontan jemanden vorstellen, ohne etwas vorbereitet zu haben?
Ja, das bieten wir auch an. Letztens beim Event in Hamburg kam während der Pause zum Beispiel ein Gast auf uns zu und meinte, er habe nichts vorbereitet, würde aber gerne jemanden vorstellen. Natürlich geht das. Wichtig ist, dass man das respektvoll und wertschätzend macht. Der Gast hat sich dann in der Pause hingesetzt, den Instagram-Account der Person herausgesucht, ist damit einfach nach vorne gegangen und hat angefangen zu erzählen. Das liebe ich an den Events.

Am Sonntag gab's in Berlin in Zusammenarbeit mit dem rbb 88.8 ein Ü40-Special. Was ist denn das Durchschnittsalter auf diesen Events?
Das freut mich total, dass rbb 88.8 auf uns zugekommen ist, um das zu organisieren. In der Regel haben wir einen Altersdurchschnitt von Anfang 20 bis Ende 30. Wir reagieren immer auf das, was die Community will. Ich kann natürlich verstehen, dass jemand mit 50 nach einer anderen Altersgruppe sucht, als jemand mit 20. Aber sowas habe ich nicht immer auf dem Schirm. Deshalb ist es gut, wenn die Leute auf mich zukommen. Wir haben dadurch auch schon in München und Köln die ersten Queer-Specials veranstaltet. Es geht darum, für jede Personengruppe Safe-Spaces zu schaffen.

"Die Münchner habe ich etwas zurückhaltender, gleichzeitig aber auch unglaublich herzlich und kreativ erlebt"

Wurde schon einmal jemand gegen seinen Willen vorgestellt?
Beim Ticketkauf muss man bestätigen, dass man niemanden gegen den eigenen Willen vorstellt. Es kommt aber immer wieder vor, dass Leute überrascht werden. Ich frage bei sowas vorher aber immer nochmal nach. Es soll niemand gegen seinen Willen präsentiert werden. In der Regel sind alle aber auch immer damit einverstanden. Es gab auch mal eine süße Geschichte, da habe ich eine E-Mail von jemandem erhalten, die vorgestellt werden sollte und ihre Freundin im Anschluss ebenfalls mit einer Präsentation überraschen wollte. Also per se ist alles möglich.

Das letzte "Kennt ihr schon…?"-Event in München war am 7. August. Wie ist das Publikum hier?
In München finden unsere Events schon seit April statt. Beim letzten war ich selbst nicht anwesend, aber Klaudija als Gastgeberin vor Ort meinte, es sei eine der besten Veranstaltungen bisher gewesen. Jede Stadt hat ihre Charakterzüge. Es ist super interessant, das bei den Veranstaltungen zu sehen. Die Kölner sind zum Beispiel für ihre kölsche Frohnatur bekannt. Die Münchner habe ich etwas zurückhaltender, gleichzeitig aber auch unglaublich herzlich und kreativ erlebt. Man merkt aber auch: Je öfter man die Veranstaltungen macht, desto mehr lässt sich das Publikum darauf ein. Was überall gleich ist: Die Leute haben alle das Online-Dating satt. Sie wollen wieder auf authentische Weise jemanden kennenlernen. Es kommen deshalb auch Vergebene oder Menschen, die einfach nur Bekanntschaften machen möchten. So ergeben sich mittlerweile auch Freundschaften. Man kommt auf diesen Events mit Leuten zusammen, die man sonst nicht treffen würde. Ich möchte das Thema Dating auf eine humorvolle und lockere Art angehen. Die Events machen genau das möglich.

"Wir haben verlernt, aufeinander zuzugehen" 

Haben Teilnehmer denn schon die große Liebe auf so einem Event gefunden?
Oh ja! Ich erfahre das dann immer durch andere, oder manche schreiben mir auch direkt. Das macht mich dann immer unglaublich glücklich. Letztens erst habe ich von einem Freund erfahren, dass zwei in seiner Freundesgruppe zusammengekommen sind, weil sie sich auf meinem Event kennengelernt haben. In München weiß ich auch von zwei oder drei Pärchen. Ich warte aber noch auf eine Hochzeitseinladung.

Wie schätzen Sie die Dating-Kultur heutzutage ein?
Ich habe den Eindruck, dass wir oberflächlicher geworden und ein bisschen abgestumpft sind. Wir haben verlernt, aufeinander zuzugehen und die Konversation zu ergreifen. Wir sind zurückhaltender geworden, aus Angst, zurückgewiesen zu werden. Beim Online-Dating kann man sich noch digital verstecken. Das hast du im echten Leben nicht. Jetzt lernen wir wieder aufeinander zuzugehen. Corona war da wahrscheinlich ein Multiplikator, aber ich würde es nicht komplett dem Lockdown zuschreiben. Es ist einfach die Entwicklung unserer derzeitigen Gesellschaftskultur: Wir digitalisieren immer mehr Bereiche unseres Lebens. Vom Privaten bis zum Beruflichen – alles findet heute an unseren Handys statt.

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"Es ist wieder cool zu sagen, dass man kein Social Media oder iPhone hat"

Und was macht dein Event besser?
Ich würde das anders ausdrücken. Online-Dating hat seine Vorteile, weil es Gleichgesinnte zusammenbringt. Was die Events besonders macht, ist, dass sie diesen Safe-Space schaffen, um auch auf Personen zugehen zu können, die man sonst nie treffen würde – allein schon aufgrund der Tatsache, dass man mit seinem sozialen Umfeld vor Ort ist. Es ist ein gemeinsames Dating. Und die Nachfrage ist groß. Die Leute wollen wieder weg von diesem Digitalen. Das kann man vielleicht wirklich Corona zuschreiben. Wir haben uns immer weiter zurückziehen müssen. Offline zu sein, ist wieder super willkommen, einfach weil die Leute genug von ihrem Handy und Laptop haben. Es ist wieder cool zu sagen, dass man kein Social Media oder iPhone hat. Das ist wieder im Kommen.

"Kennt ihr schon…?" entstand aus Ihrem Bedürfnis heraus, jemanden kennenzulernen. Hat es bei Ihnen geklappt?
Eher noch nicht, weil ich meinen Fokus jetzt so auf die Events gelegt habe, dass ich gar nicht mehr dazu komme, jemanden kennenzulernen. Es hat also unbeabsichtigt ein bisschen kontraproduktiv gewirkt. Aber wer weiß, was die nächsten Events mit sich bringen, sobald sich alles etwas eingespielt hat.


Tickets für das anstehende "Kennt ihr schon…“-Event in München am Montag, 11. August erhält man ab 15 Euro über die offizielle Website. Veranstaltungsort ist die Bar "Die Krake", Einlass ist um 19 Uhr.

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