Die Leiden der Christine H.
MÜNCHEN - Nach Nierenstein-OP: 49-Jähriger mussten alle Zehen und acht Finger amputiert werden – doch das Gericht weist die Schmerzensgeldklage ab.
Zu ihrem 49. Geburtstag am Neujahrstag hat sie sich vor allem eins gewünscht: „Gesundheit!“ Christine Hornsteiner hat nach Komplikationen bei einer Nierenstein-OP im Jahre 2005 acht Finger und alle Zehen verloren. Sie leidet bis heute an Depressionen und Schmerzattacken in den Händen. Vor Gericht versuchte sie (Anwalt Steffen Thoms) vom Krankenhaus, einer Münchner Uni-Klinik, ein Schmerzensgeld von 35000 Euro zu bekommen. Doch die 9. Zivilkammer wies – gestützt auf ein Gutachten – die Klage ab, ein Behandlungsfehler läge nicht vor.
Was am 8. April 2005 geschah: Bei der Entfernung des Nierensteins kam es bei Christine Hornsteiner zu einem septischen Schock und Multiorganversagen. Die anschließende Therapie führte zu Nekrosen. Christine Hornsteiner verlor alle zehn Zehen und acht Finger, lag volle drei Monate statt weniger Tage im Krankenhaus.
Gegen die Klageabweisung ging sie in die Berufung. Begründung: Sie hätte aufgrund ihres Zustands – die 49-Jährige leidet seit zehn Jahren an einer chronischen Psychose – die Aufklärung über Ablauf und Risiken der OP durch den Arzt nicht verstehen können.
Ihre Psychiaterin hatte aber nur wenige Tage zuvor über das Gespräch mit Christine Hornsteiner notiert: „psychisch stabil, gute Sozialkontakte“. Auch am Tag nach dem Aufklärungsgespräch schien sie zwar nervös wegen der bevorstehenden Operation. Einen psychotischen Schub und damit eine eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit konnte die Ärztin nicht erkennen.
Angesichts der Aussichtslosigkeit zieht Christine Hornsteiner daraufhin ihre Berufung zurück. Doch Zweifel bleiben ihr und ihrem Freund Ulrich Grüner (47), ob tatsächlich alle Beteiligten von der Psychiatrie bis zu den Ärzten im Krankenhaus immer rechtzeitig reagiert haben.
Er hält ihre Hand nach der Verhandlung. Seine Freundin spürt wieder Schmerzen – und große Enttäuschung. Niemand wird zur Verantwortung gezogen, stattdessen hört sie Worte wie Schicksal oder Tragödie. Die Ex-Hauswirtschafterin lebt heute im Wohnheim, macht einfachste Fabrikarbeiten. Von ihrem Taschengeld bleiben ihr 60 Euro im Monat. Davon lässt sich ihr zweiter großer Wunsch nicht erfüllen: „Ich will das Meer sehen.“
John Schneider
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