"Die Geschichte hinter den Werken haut mich um"

Zwischen Zynismus und Einfühlungsvermögen: Eine neue Ausstellung zum Thema Flucht im DGB-Haus.
von  Judith Eisinger
Die Bilder zeigen das Thema Flucht aus unterschiedlichsten Perspektiven.
Die Bilder zeigen das Thema Flucht aus unterschiedlichsten Perspektiven. © Verdi Kulturforum Bayern

München - An den Collagen der Münchner Künstlerin Helga Hansel kann Kurator Sepp Rauch nicht vorbeigehen. Er bleibt stehen und zeigt auf ein Werk, das die Figur eines dunkelhäutigen Mannes mit grimmigem Gesichtsausdruck zeigt, er hat Einschusslöcher auf der Stirn.

Das Bild stammt von einer Schießscheibe, mit der in Deutschland Soldaten trainieren. Auf der Collage hat Helga Hansel eine Zeitungsüberschrift aufgeklebt, „Ein Schuss daneben?“ steht jetzt über dem durchlöcherten Gesicht. Sepp Rauch blickt betroffen auf das Werk: „Die Geschichte hinter diesen Werken haut mich um.“

Die Mitarbeiter belasten die Bilder

Im DGB-Haus haben die Bilder bereits für Gesprächsstoff gesorgt. Sepp Rauch zeigt auf die Fotografien von Andreas Paul Schulz, sechs Farbfotografien von am Strand angeschwemmten Stofffetzen. „Die hingen noch keine zwei Stunden, da ging schon der Anruf ein.“

Die Mitarbeiter der anliegenden Büros baten darum, die Werke in einen anderen Teil des Gebäudes zu verlegen, der Anblick belaste sie zu sehr: „Da sieht man, welches Kopfkino diese Bilder auslösen. Aber etwas Besseres kann dem Künstler nicht passieren, als solche Reaktionen hervorzurufen.“

Alles dreht sich um Flucht

Auf fünf Stockwerken werden die Werke der 35 Künstler gezeigt: Fotografien, Karikaturen und Collagen beschäftigen sich mit den Themen Flucht und Vertreibung. Der Künstler azzle zeigt eine große, komplett schwarze Leinwand, die die ungewisse Zukunft symbolisiert, in die sich flüchtende Menschen aufmachen.

Guido Zingerl versieht Standardsätze wie „Das Boot ist voll“ mit zynischen Karikaturen. „Das Besondere ist die große Bandbreite“, betont Kurator Sepp Rauch. Alles dreht sich um Flucht, sowohl aus der Perspektive der Flüchtenden als auch aus der Perspektive derer, zu denen die Flucht führt.

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Immer wieder sieht der Besucher vertraute Bilder, über die er ganz neu nachdenken muss. So zeigt Sabine Jörg ein verlassenes Strandidyll, doch der Titel „Boarding“ verrät, dass es sich keineswegs um einen einfachen Urlaubsschnappschuss handelt.
Ein weiteres vertrautes Bild sind die fliegenden Handtaschenhändler, die am Strand ihre Waren anbieten. Künstlerin Gerda Enk fragt in ihrem Werk „Wohnen Taschenverkäufer?“ nach dem Leben der anonymen Gestalten.

Einer, der selbst Flucht und Vertreibung erlebt hat, ist Jamshid Karimi. Vor einem Jahr kam er in Deutschland an, nun zeigt er in seinem Werk „Neues Leben“ eine Frau mit je einem Kind an der Hand von hinten, die drei haben eine lange Straße vor sich.

Am Horizont sind verschwommen die Umrisse von Schloss Neuschwanstein zu erkennen – das „Disney-Schloss“, Symbol schlechthin für ein märchenhaftes Wunderland. Das Wunderland, das alle Menschen auf ihrer Flucht suchen.   


Ausstellung von 1. September bis 11. November im DGB-Haus, Schwanthalerstr. 64. Eintritt frei.

 

 

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