„Die Arbeit zählt weniger“

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Krankenschwestern, Erzieher, Gärtner: 2500 demonstrieren am Stachus für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Einige Kindergärten und Operationssäle blieben dicht.
Streiktag ist Ausnahmetag - nicht nur für die Münchner Erzieherin Manuela Neumeier, die ein wenig scheu in die Kamera lächelt und sagt: „Kinder sind das Gut unserer Gesellschaft, meine Arbeit soll endlich gewürdigt werden.“
In leitender Funktion in einem Kindertagesheim im Münchner Stadtteil Aubing verdient die 32-Jährige monatlich 1600 Euro netto. In dem Heim würden 100 Kinder von acht Angestellten betreut. „Mehr Personal ist nicht drin.“
Die Erzieherin steht mit ihrer Hilflosigkeit nicht alleine da: Rund 1500 Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes haben sich laut Münchens Verdi-Geschäftsführer Heinrich Birner gestern zur zentralen Kundgebung am Stachus versammelt. Bei weiteren Kundgebungen in München seien es nochmal 1000 Streikende mehr gewesen, sagt er.
Vor allem junge Münchnerinnen - darunter viele Erzieherinnen, Pflegerinnen und Krankenschwestern - halten Transparente hoch und schwenken rote Fähnchen. „Die Hälfte der 450 Kindertagesstätten wird bestreikt“, sagt der Münchner Verdi-Chef. 23 von insgesamt 60 Krippen blieben am Mittwoch geschlossen.
Auch viele Tagesheime und Horte wurden bestreikt, zudem vier Stadtbibliotheken, die Parkaufsicht und die städtischen Kliniken. Dort seien die OP-Säle dicht, sagte Birner. „Notoperationen finden aber statt.“
Wie erwartet zieht Birner bei der Versammlung über Manager und Banker her. Und er kritisiert die „Verschleuderung von Steuergeldern“ durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung.
„Immer heißt es, die Kassen sind leer“, heizt Birner die in der Kälte bibbernde Menge an. Gleichzeitig würden einzelne Branchen wie etwa das Hotelgewerbe bessergestellt. „Die Bundesregierung nimmt es von den Armen und gibt es den Reichen“, redet sich der Münchner Verdi-Chef in Rage.
Bei dem von Verdi geforderten Gesamtpaket von fünf Prozent mehr Geld spielen die Arbeitgeber nicht mit. Laut Verdi haben die Arbeitgeber noch kein Angebot für die bayernweit 172000 Mitarbeiter der Kommunen und 9000 Beschäftigten beim Bund vorgelegt. Nach der gescheiterten zweiten Verhandlungsrunde steht Ende nächster Woche die dritte Runde an. „Was danach passiert ist noch offen“, sagte Birner nur.
„Es geht doch gar nicht um fünf Prozent mehr Lohn“, sagt Landschaftsgärtner Alexander Ankenbrand, der sich für die Kundgebung mit Winterjacke, Schal und Mütze gewappnet hat. Der 41-jährige Münchner wünscht sich zwar mehr Geld, keine Frage: Mit rund 1500 Euro netto monatlich muss er nicht nur sich, sondern auch zwei Kinder ernähren. Doch vielmehr stört ihn, „dass Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst durch die leistungsorientierte Prämie ungerecht behandelt werden“. Bevorzugt werde, wer sich gut mit den Chefs stelle, schimpft er. „Die Arbeit zählt weniger.“
„Zeigt Rot, wenn ihr Lob nicht wollt“, wettern die Streikenden. Sie protestieren gegen die Leistungsprämie und halten rote Kärtchen in die Luft. Dass die Arbeitgeber den Topf für die Leistungsprämie erhöhen wollten, sei nicht akzeptabel, darüber sind sich am Stachus alle einig.
Aber auch die Wiedereinführung der Altersteilzeit fordern die Demonstranten. Und dass Auszubildende im Öffentlichen Dienst übernommen werden.
Die beiden Azubis Christina Hermann (22) und Suzan Öztürk (32) zum Beispiel. „Wir investieren vier bis fünf Jahre in die Ausbildung, bevor wir als Kindergärtnerinnen arbeiten dürfen“, sagen sie. Zurzeit gehen sie in die Berufsschule, berichten sie, „und da kriegen wir gar kein Geld“.
Knapp bei Kasse ist auch die 22-jährige Carina Helmes. Sie arbeitet im OP als technische Assistentin Schicht. Trotz vieler 24-Stunden-Einsätze, Wochenend- und Feiertagsdiensten verdient sie monatlich rund 1700 Euro netto. „Zurzeit liegen die Nachtzuschläge von 22 bis 6 Uhr bei 1,28 Euro je Stunde“, klagt sie. 2,78 Euro Zuschlag fordern sie und einige OP-Schwestern. Sie haben sich grüne Hauben aufgesetzt.
Ein wenig erinnert das an Fasching. Für Patienten könnte es bei einem erneuten Streik ernst werden.
Anne Hund
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