Die Arbeit einer Herzchirurgin: Ihre Fehler können tödlich sein

MÜNCHEN - Nachlässigkeiten und Unaufmerksamkeit kann sie sich nicht leisten: Beatrice Retzlaff ist 29 Jahre alt und lässt sich in München zur Herzchirurgin ausbilden. Das bedeutet: viel Verantwortung und wenig Privatleben.
Am liebsten fährt Beatrice Retzlaff mit dem Radl in die Arbeit, acht Kilometer Bewegung an der frischen Luft. Danach wird sie lange stehen, oft zwölf Stunden am Tag. Am OP-Tisch, vor ihr das Herz eines Menschen. Retzlaff arbeitet im Münchner Herzzentrum, sie lässt sich zur Herzchirurgin ausbilden. „Dieser Beruf ist nie langweilig“, sagt sie. Das bedeutet aber auch: lange Arbeitszeit, viel Verantwortung und immer wieder Konfrontation mit dem Tod. Vom ZDF hat sie sich ein Jahr lang mit der Kamera begleiten lassen, zu sehen heute, 22.15 Uhr, in „37 Grad“.
Schon immer wollte Beatrice Retzlaff Chirurgin werden. Im Herzzentrum verbrachte sie nach dem Examen ihr Praktisches Jahr. Jetzt ist sie Assistenzärztin, auf dem Weg zum Facharzt für Herzchirurgie, fünf bis sechs Jahre dauert das.
Ein schwer herzkrankes Baby wird operiert, fünf Monate ist es erst alt. Alles verläuft gut. „Sie wird alles machen können, was andere Kinder auch machen“, sagt Retzlaff zu den Eltern. Das sind die Momente, in denen sie ihr Beruf sehr zufrieden macht.
Auf der Intensivstation ist sie für bis zu zwölf Patienten verantwortlich. Tagsüber ist immer ein Oberarzt da, nachts ist er nur per Handy erreichbar. „Man muss dann oft schnell und alleine entscheiden“, sagt Retzlaff. „Gerade am Anfang war ich unsicher. Man ist dann froh, dass Schwestern mit viel praktischer Erfahrung da sind.“
Doch manchmal nützen weder Erfahrung noch neueste Medizintechnik. Auch wenn niemand einen Fehler macht, können die Ärzte manchmal nicht helfen. Als zum ersten Mal ein Mann nach seiner schweren OP während ihrer Intensivstation-Schicht starb, war das für Beatrice Retzlaff ein schwerer Schlag. „Es hat mich lange traurig gemacht, ich bin nachts aufgewacht und habe immer wieder diesen Patienten vor mir gesehen.“
Auch im OP erlebt sie Komplikationen mit. Und sie weiß: Wenn sie später selbstständig operiert, wird irgendwann der Moment kommen, an dem sie machtlos ist. „Man wächst da so rein“, sagt sie. „Aber ich glaube, darauf kann man sich nicht wirklich vorbereiten.“
Für Privates hat sie wenig Zeit. Neun Stunden dauert die Schicht offiziell. Überstunden sind üblich – und werden hier sogar bezahlt. Nach den Stunden im OP bereitet sie oft noch Patienten für den nächsten Tag vor. Sieben Uhr Dienstbeginn, um 20 Uhr zu Hause, und noch nichts gegessen. „Nach solche Tagen bin ich einfach nur ausgelaugt.“ Sie versucht trotzdem, einen Ausgleich zu schaffen: Sport mit Freunden, Schwimmen, am Wochenende Skifahren.
Trotzdem: Die Aussicht, immer so zu arbeiten zu müssen, lässt sie zweifeln. Und damit ist sie nicht allein. 6000 Klinikstellen können zurzeit nicht besetzt werden, in Bayern sind es 1000. „Viele junge Leute sagen sich: Warum soll ich mir das antun, mich aufopfern“, sagt Robert Bauernschmitt, der stellvertretende Klinikchef. Ärzte verdienen weniger als früher, immer mehr gehen ins Ausland. Nur 60 Prozent der Medizinstudenten werden überhaupt Ärzte, in der Forschung, bei Pharmafirmen wartet mehr Geld.
Inzwischen sind zwei Drittel der Medizinstudenten Frauen. Solche wie Beatrice Retzlaff, mit viel Idealismus. Aber gerade auf Frauen ist der Klinikalltag nicht eingestellt. Flexible Arbeitszeit gibt es hier nicht. „Ich bin mir nicht 100-prozentig sicher, ob dieser Weg für mich der richtige ist“, sagt die 29-Jährige. „So sehr ich den Beruf liebe, so sehr belastet es mich, dass eine Familie mit Kindern in diesem Job praktisch unmöglich ist.“Tina Angerer