"Die Anständigen sind die Dummen"
MÜNCHEN - Die E-Mail trudelt am Montagmorgen bei der AZ ein. Betreff: „Sklavenhaltung bei der Stadt München”. Elisabeth Renner hat den AZ-Bericht über Schwarzarbeiter auf einer Stadt-Baustelle gelesen. Sofort kochte die Wut in ihr hoch. Die Wut über die Zustände am Bau. Und die kennt sie gut: Die 57-Jährige leitet mit ihrem Mann seit 32 Jahren eine mittelständische Baufirma mit 86 Mitarbeitern. Ein Familienbetrieb in der vierten Generation. Die AZ hat mit der Unternehmerin gesprochen.
AZ: Frau Renner, wie oft hat Ihre Firma sich heuer schon um einen öffentlichen Auftrag beworben?
ELISABETH RENNER: Heuer haben wir das ziemlich eingestellt. Nachdem wir uns im vergangenen Jahr 45 Mal beworben hatten – und nur einmal den Zuschlag bekamen.
Warum hatten Sie so wenig Erfolg?
Das liegt an unseren Löhnen. Wir sind in der Regel bei öffentlichen Aufträgen zwölf bis 30 Prozent zu teuer, weil wir mit eigenen, ordentlich bezahlten Mitarbeitern arbeiten. Andere Firmen haben nur noch Sub- und dann Sub-Sub-Unternehmer. Dagegen haben wir mit unserem Konzept keine Chance. Das ist heute wirklich wie früher der Sklavenhandel. In der Baubranche gibt’s kaum mehr ordentliche Arbeitsverhältnisse. Das ist der reine Menschenhandel geworden. Und die Anständigen sind die Dummen.
Was bezahlen Sie Ihren Mitarbeitern?
Bei uns verdienen die Leute zwischen 13,70 und 19 Euro pro Stunde. Vorgeschrieben ist ein Mindestlohn von 13 Euro. Aber unsere Devise ist: Wer gutes, verlässliches Personal will, muss es auch fair bezahlen. Unsere Mitarbeiter sind im Schnitt schon seit 20 Jahren bei unserer Firma. Wir kalkulieren mit 46 Euro pro Stunde – alle Sozialabgaben und -beiträge inklusive.
Wie kommt Ihre Firma denn über die Runden, wenn sie nicht für die Stadt baut?
Zum Glück haben wir private Bauherren, die seit Jahrzehnten unsere Qualität schätzen. Das ist schon wirklich ungerecht: Wir zahlen in München Steuern und Gewerbesteuern und bieten Arbeitsplätze. Und trotzdem haben wir wegen der Wettbewerbsverzerrung keine Chance, einen Auftrag von der Stadt zu kriegen.
Vorige Woche hat der Zoll Schwarzarbeiter auf einer Stadt-Baustelle entdeckt...
...das ist doch der Regelfall. Ich bin sicher, dass auf der Hälfte aller städtischen Baustellen Schwarzarbeiter sind.
Wie kommen Sie darauf?
Wir waren mit unseren Angeboten immer unter ferner liefen. Wenn andere Firmen deutlich günstiger sind als wir, dann kann das ja nicht an den Baustoffen liegen. Da müssen wir alle mehr oder weniger dasselbe bezahlen, fünf Prozent hin oder her. Wirklich drücken kann man den Angebotspreis nur über die Lohnkosten. Und da gibt es die unterschiedlichsten Maschen.
Zum Beispiel?
Seit eineinhalb Jahren drücken Scheinselbstständige aus Osteuropa massiv die Preise. Immer wieder kommen auch Leute zu uns und bieten uns solche Arbeiter zu Dumping-Löhnen an – aber die schmeiße ich hochkant raus. Und was macht die Stadt? Die spielt das ganze Spiel mit, indem sie den Auftrag an den Billigsten gibt.
Die Vorgabe für öffentliche Bauherren ist, das wirtschaftlichste Angebot zu nehmen. Ist das Ganze also ein Systemfehler?
Nicht nur. Denn die Stadt müsste die Angebote viel mehr auf Plausibilität prüfen. Oft genug ist anhand des Angebots schon deutlich: Es kann gar nicht sein, dass korrekte Löhne bezahlt werden. Es kann keine Strategie sein, abzuwarten, bis der Zoll kommt. Es ist doch auch eine Frage der Moral, dass Arbeiter anständig bezahlt werden. Die Stadt baut mit unseren Steuergeldern. Da kann es doch nicht sein, dass auf den Baustellen Leute ausgebeutet werden.
Die Stadt sagt, sie schließt Dumping-Angebote aus.
Ich bin jetzt seit 32 Jahren im Geschäft und habe das ganz anders beobachtet: Der Billigste bekommt den Zuschlag. Die Stadt müsste einfach auch auf ihre Auftragnehmer zugehen und sagen: Belegt mir doch mal bitte, dass ihr wirklich Mindestlöhne bezahlt.
Was glauben Sie: Wie viele Bauarbeiter in München bekommen Tariflohn?
Ich kann das freilich nicht belegen. Aber ich würde schätzen: Vielleicht 30 Prozent. Dass Mitarbeiter menschenwürdig bezahlt werden, interessiert niemanden. Auch nicht bei der Stadt. Die müssen oft in Containern unter schlimmen Umständen hausen. Wären es Tiere, würde bei der aktuellen Hitze sofort der Tierschutzverein einschreiten. Das sind Arbeiter, die nehmen das alles in Kauf – weil sie hier sechs Euro in der Stunde verdienen und daheim in Rumänien zwei.
Sie klingen sehr enttäuscht.
Das bin ich schon lange, vor allem die Stadt enttäuscht mich. Ich weiß auch, dass ich mir mit dem, was ich sage, keine Freunde mache. Aber es ist doch so: Theoretisch wird das Thema Mindestlohn von Rot-Grün hochgehalten. Und praktisch? Die predigen Wasser und trinken Wein. Dass die Stadt da mitmacht, ist nicht in Ordnung. Zumal es ja wieder wir Steuerzahler sind, die dafür auskommen müssen, wenn die Arbeiten dann nicht ordentlich ausgeführt wurden. Die Mängel bezahlen wieder wir.
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