Deutschlands größter Korruptionsskandal: Im Sumpf mit Siemens
MÜNCHEN - Mit Thomas Ganswindt steht ab Donnerstag erstmals ein Ex-Vorstand des Konzerns vor Gericht. Bei systematischer Bestechung soll er jahrelang weggeschaut haben.
Es könnte eng werden: Im eher kleinen Gerichtssaal B 175 im Justizzentrum an der Nymphenburger Straße wird ein weiterer Teil der größten Schmiergeld-Affäre der Bundesrepublik juristisch aufgearbeitet. Das Interesse der Öffentlichkeit ist dementsprechend. Schließlich steht mit Thomas Ganswindt (50) der bislang ranghöchste Siemensianer vor Gericht. Ganswindt soll von dubiosen Zahlungen in Nigeria und Russland gewusst haben. Der ehemalige Siemens-Zentralvorstand sei aber nicht dagegen vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Steuerhinterziehung und vorsätzliche Verletzung der Aufsichtspflicht vor. Ihm drohen Geldbuße bis zu einer Million, eventuell sogar Haft bis zu fünf Jahren.
Der Prozess. Spannend ist, ob und wie sich Ganswindt heute nach Verlesung der Anklageschrift zu den Vorwürfen äußert. An neun Verhandlungstagen sollen bis 22. Februar 14 Zeugen gehört werden. Vor Ganswindt wurden einige seiner früheren Mitarbeiter zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt (siehe Kasten).
Die Schlüsselfigur. Der damalige Siemens-Direktor Reinhard S. ersann das System der Schwarzen Kassen und betrieb es, um für 1,3 Milliarden Euro Aufträge im Ausland zu kaufen. Er deckte den Ermittlern aber nach der Entdeckung die ganzen Zusammenhänge der „diskreten Zahlungen“ und „nützlichen Aufwendungen“ auf. Und kam wegen seiner Kooperation mit zwei Jahren auf Bewährung davon.
Die Schwarzen Kassen. Die 39-seitige Anklageschrift macht deutlich, wie tief der Elektrokonzern im Kampf um Aufträge im Sumpf der Bestechung watete. Da wurden über Jahre Scheinverträge mit „Beratern“ abgeschlossen und Schwarze Kassen eingerichtet, um so Millionenbeträge für Bestechungsgelder frei zu machen. Unter anderem in Nigeria und Russland wurden damit Amtsträger überzeugt, dass die Siemens-Töchter ICN, ICM, später COM und nicht Konkurrenten wie Nokia den Auftrag bekommen. Ein Beispiel: Im Jahre 2003 machten mögliche russische Auftraggeber klar, dass sie für einen Auftrag „Geschenke“ erwarteten. Siemens sollte ein Museum mit PC ausstatten. An der offiziellen Buchhaltung vorbei nutzten Mitarbeiter das System der schwarzen Kassen, um die russischen Erwartungen zu erfüllen.
Die Rolle Ganswindts. Der gebürtige Oberhausener und Ehrendoktor der TU München war von 2004 bis 2006 im Zentralvorstand für den Telekommunikationsbereich zuständig, galt zeitweise sogar als möglicher Nachfolger des damaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Von Oktober 2001 an leitete Ganswindt die Telekommunikationstochter ICN. Seit 1998 ist Bestechung im Ausland illegal. Hinweisen auf Korruption ist er in seiner Amtszeit laut Anklage nie konsequent nachgegangen. Im Gegenteil: Ganswindt soll Mitarbeiter angewiesen haben, bestimmte Aufträge über Reinhard S. zu vergeben. Im September 2006 verließ er Siemens, er wurde Vorstandsvorsitzender der Elster Group in Luxemburg. Als Ende 2006 die Bombe platzt, geht Ganswindt für zehn Tage in Landsberg in U-Haft. Seine Funktion bei der Elster Group gibt er daraufhin auf.
Der Schaden. Der Skandal hat den Elektrokonzern bereits 2,5 Milliarden Euro gekostet, unter anderem für Strafzahlungen, Anwalts- und Beraterkosten. Einen Teil will man zurück. Ganswindt soll fünf Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Andere führende Siemens-Manager zahlten.
Ende in Sicht. Die strafrechtliche Aufarbeitung des „Siemens-Komplex“, wie ihn die Staatsanwaltschaft nennt, geht mit dem Ganswindt-Prozess langsam ihrem Ende entgegen. Zeitweise ermittelte die Staatsanwaltschaft München gegen rund 300 Beschuldigte. Zuletzt waren es noch 30. Unter ihnen auch zwei hochrangige Manager: Ex-Zentralvorstand Uriel Sharef und Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger.
John Schneider
Von der 1. Razzia bis zum Ganswindt-Prozess: Der „Siemens-Komplex“
Es begann mit einer Razzia und ist mit dem Ganswindt- Prozess noch nicht zu Ende: Die wichtigsten Ereignisse des „Siemens-Komplex“.
15. November 2006: 200 Polizei, Staatsanwälte und Steuerfahnder durchsuchen Büros im Siemens-Konzern und bringen die Schmiergeldaffäre ans Licht.
22. November 2006: Die Staatsanwaltschaft beziffert die veruntreute Summe auf 200 Millionen Euro.
11. Dezember 2006: Siemens schätzt die Summe auf 420 Millionen. Siemens- Chef Klaus Kleinfeld engagiert die US-Kanzlei Debevoise & Plimpton und den Anti-Korruptionsberater Michael Hershman.
Am selben Tag wird der Ex-Zentralvorstand Thomas Ganswindt verhaftet. Er kommt nach zehn Tagen frei.
13. März 2007: Der Ex-Finanzchef der Kraftwerkssparte, Andreas K., und ein Mitarbeiter gestehen vor dem Darmstädter Landgericht Schmiergeldzahlungen. Sie werden zu Bewährungsstrafen verurteilt.
19. April 2007: Siemens- Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer erklärt seinen Rücktritt.
25. April 2007: Siemens- Chef Klaus Kleinfeld kündigt an, den Konzern zu verlassen.
16. Dezember 2008: Siemens muss in den USA 600 Millionen Euro Geldbuße zahlen.
28. Juli 2008: Das Landgericht München I verurteilt den Erfinder der Schwarzen Kassen, Reinhard S., zu zwei Jahren auf Bewährung und 108 000 Euro Gledbuße.
19. November 2008: Zwei weitere Ex-Manager werden zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt.
20. April 2010: Bewährungsstrafen für einen Ex- Manager und seinen Chef- Buchhalter, die Siemens- Geld für Schmiergeldzahlungen abzweigten.