Der selbstherrliche Auftritt des Thomas S.
München - Die Schlange vor dem Schwurgerichtssaal ist lang. Jeder Besucher wird abgetastet, alle Taschen werden kontrolliert. „Wegen Dachau sind die jetzt sensibilisiert“, sagt ein älterer Herr, der als Zuschauer gekommen ist. Und fügt an: „Bei so einem könnte man ja noch verstehen, dass dem einer was will.“
So einer, das ist Thomas S., ein Mann, der zwei Mädchen umgebracht haben soll. Mit einem Seil, einer Hantelstange und einem Messer. Seine eigenen Nichten, und das alles nur wegen Geld. So einer, das ist ein Mann, der selbst Vater von sechs Kindern ist.
Von den Besuchern hier glaubt keiner an die Unschuld von Thomas S. Für sie ist er der Doppelmörder von Krailling. Sie wollen sehen, wie so einer in echt ist. Als Thomas S. den Gerichtssaal betritt, ist es fast, als präsentiere er sich auf einer Bühne. Er stellt sich mit verschränkten Armen hin, schaut in die Kameras, grinst immer wieder. Er hebt den Kopf Richtung Tribüne, wo Zuschauer sitzen. Mit dem Polizisten neben sich flüstert er immer wieder, ja, er schäkert, einmal lacht er ganz offen.
„Der wagt es, hier zu lachen“, sagt eine Zuschauerin voller Verachtung. So sieht kein Mann aus, der schuldbewusst ist oder gar etwas bereut. So sieht ein Selbstgerechter aus.
Thomas S. ist schlanker als bei seiner Verhaftung, die Haare sind kurz, der Bart ist ab. Als die Anklage verlesen wird, schüttelt er immer wieder den Kopf, manchmal zupft er wie unbeteiligt Fussel aus seinem Pulli oder begutachtet seine Fingernägel. Am Ende lehnt er sich lässig zurück und schlägt die Beine übereinander.
Was da verlesen wird, ist die Beschreibung einer unglaublich brutalen Tat. Laut Anklage hat Thomas S. die Kinder in der Nacht zum 24. März heimtückisch und aus Habgier ermordet. Demnach wollte er auch seine Schwägerin Anette, die Mutter der Mädchen, töten, um an das Familienerbe zu kommen. Der Postler hatte sich mit einem Hausbau übernommen. Seine Frau Ursula, mit der er vier Kinder hat, besaß mit ihrer Schwester Anette eine Eigentumswohnung. Thomas S. soll seine Schwägerin gedrängt haben, den Anteil ihrer Schwester abzulösen. Weil Anette S. nicht wollte, soll er den Mord geplant haben.
Thomas S. schweigt vor Gericht. Die Ermittler schildern ein langes Martyrium der Kinder. Thomas S. wusste, dass sie wie jeden Mittwoch nachts alleine waren, weil die Mutter arbeitete. Der Täter hat ein Seil und eine Hantelstange dabei. Zuerst würgt Thomas S. laut Anklage die schlafende Chiara. Als Sharon den Eindringling bemerkt und sich ihm entgegenstellt, schlägt er auf sie ein. Doch das Kind wehrt sich lange. So greift der Täter zu einem Küchenmesser und sticht zu, immer wieder. Während ihre Schwester in der Wohnküche ermordet wird, verharrt Chiara nebendran im Kinderzimmer, in Todesangst. Dann macht sich der Mörder auch über sie her.
Blut an Wänden, Türen, in den Kinderbetten
Polizisten zeigen vor Gericht Bilder vom Tatort. Es sind die Spuren einer regelrechten Jagd auf die Kinder. Blut in der ganzen Wohnung, an Wänden, Türen, in den Kinderbetten. Die Badewanne ist mit Wasser gefüllt, daneben steht ein eingesteckter Handmixer. Das passt zur Version der Ermittler, wonach Thomas S. Chiara ins Obergeschoss der zweistöckigen Wohnung geschleppt und ins Schlafzimmer der Mutter gelegt hat. Anette S. sollte, wenn sie Sharon findet, oben nach Chiara suchen. Dort wollte er Anette S. im Halbdunkel überwältigen und in der Wanne mit dem Mixer töten. Es sollte nach erweitertem Suizid aussehen. Nur weil Anette S. später als sonst nach Hause kam, soll er davon abgerückt sein.
Um 4.45 Uhr kehrt Anette S. zurück – und sieht das Unfassbare. Polizisten berichten vor Gericht von ihrem Eintreffen am Tatort. „Die Mutter kam mir aus dem Kinderzimmer laut schreiend entgegen“, sagt eine Beamtin. Mit Blut an den Händen schrie sie: „Meine Kinder sterben. Unternehmen Sie was!“ Die Polizisten versuchen, die Kinder wiederzubeleben – vergeblich.
Anette S. ist Nebenklägerin, noch ist die Thomas S. nicht gegenübergetreten. Sie will aber als Zeugin aussagen. Genau wie die Ehefrau des Angeklagten. Sie hatte ihrem Mann erst ein Alibi gegeben, es dann zurückgezogen, inzwischen läuft die Scheidung.
Zu den Indizien gehören DNA-Spuren von Thomas S. in der Wohnung und an den Tatwaffen. Im Prozess werden 63 Zeugen und drei Gutachter gehört. Anwalt Adam Ahmed zieht das Motiv in Zweifel. „Für mich ist dieses Tatmotiv nicht nachvollziehbar“, sagt er. Thomas S. hat bisher nur mit dem psychiatrischen Gutachter Henning Saß gesprochen. Ihm gegenüber spielt er die Geldprobleme herunter. Annette S. habe eingewilligt, die Wohnung abzulösen, also habe es keinen Streit gegeben.
Ein ganz normaler Ehemann und Vater
Der gelernte Feinmechaniker hat sein Studium abgebrochen und ging mit einem Laden pleite, bevor er bei der Post anheuerte. Zu seiner ersten Frau und den zwei Kindern aus dieser Ehe hat er seit Jahren keinen Kontakt. Seine Frau Ursula war an Brustkrebs erkrankt, seinem Sohn musste eine Leber transplantiert werden. Dennoch gab S. beim Gutachter an, dass er nicht sehr belastet war. Er schildert sich selbst als einen, der alles hinkriegt. Als einen ganz normalen Ehemann und Vater. In den kommenden zwölf Verhandlungstagen will die Staatsanwaltschaft beweisen, dass Thomas S. so einer nicht ist. Sondern ein heimtückischer Kindermörder.
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