Der Blickwinkelwechsler
In diesem Jahr wurde er mit dem Grammy ausgezeichnet, heute kommt Herbie Hancock mit seinem Sextett in die Philharmonie
Auch mit 68 Jahren wird der Jazzpianist Herbie Hancock noch von einer unstillbaren Neugier getrieben. Der Virtuose, der sich permanent neu erfindet, wurde heuer für seine CD „The Joni Letters“ mit dem Grammy für das Album des Jahres ausgezeichnet. Heute gastiert er mit seinem Sextett in der Philharmonie.
AZ: Herr Hancock, mit dem Grammy-Gewinn haben Sie sich als Jazzkünstler gegen Größen wie Amy Winehouse oder die Foo Fighters durchgesetzt. War das der überraschendste Preis Ihres Lebens?
HERBIE HANCOCK: Ja, das kann man wohl sagen. Ich stand förmlich unter Schock. Niemand, inklusive diverser Presse-Insider, hatte mich auf der Rechnung.
Hat Ihnen der Preis möglicherweise eine neue Zuhörerschaft eingetragen?
Es war die größte Belohnung, dass viele Menschen plötzlich auf den Trichter kamen, dass Jazz möglicherweise doch noch nicht tot ist. Jazz hat immer noch genug Lebenssaft und er sucht immer noch nach neuen Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks. Es klingt jetzt vielleicht etwas bescheiden, aber der Grammy für das Album des Jahres gehört nicht mir, sondern dem Jazz als Kunstform. Als ich den Preis überreicht bekam, hatte ich das Gefühl, als ob die ganze Jazz-Gemeinde hinter mir stand.
Das klang jetzt so, als hätten Sie auch den Geist diverser verstorbener Jazz-Ahnen gespürt.
Da haben Sie Recht. Und ich sollte ergänzen, dass selbst die Jazzhörer, die Fans, die Unterstützer dieser Musik irgendwie mit mir auf der Bühne standen.
Auf Ihrer Website findet sich das von Will.i.am produzierte Video „American Prayer“, das kräftig Wahlkampf für Barack Obama machte. Sie singen darauf. Was erwarten Sie von Obama?
Zunächst mal: Dass er der Welt ein Stück Hoffnung zu vermitteln mochte, ist schon ein nicht zu unterschätzender Beitrag. Andererseits sind die Erwartungen an ihn viel zu groß als dass ein Mann alleine all die Aufgaben stemmen könnte, die nun vor ihm liegen (lacht). Solche großen öffentlichen Auftritte wie der in Berlin haben in den USA manch einen dazu gebracht, sich vielleicht doch einmal näher mit Barack Obama zu beschäftigen und herauszufinden, wer er eigentlich ist.
Hat sich Ihr Glücksgefühl über seine Wahl bereits in Musik ausgedrückt?
Bisher habe ich noch nichts komponiert, aber ich denke ernsthaft darüber nach.
Wissen Sie eigentlich, welche Taste Sie drücken müssen, um sich musikalisch noch selbst zu überraschen?
(lacht) Ich versuche eigentlich immer, mir alles aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen, um einem Ziel, einem Zweck näher zu kommen. Früher dachte ich nie darüber nach, was ich mit einem bestimmten Projekt erreichen und wie ich meine Gedanken oder Anliegen in Musik übersetzen könnte. Heute sehe ich mich eher als humanes Wesen und nicht nur als Musiker.
Sie haben gerade die Compilation „Then And Now: The Definitive Herbie Hancock“ veröffentlicht. Beneiden Sie sich manchmal um bestimmte musikalische Ideen, die Sie in früheren Phasen hatten?
Sonst höre ich mir selten frühere Aufnahmen an, musste es aber für die Auswahl der CD diesmal intensiv tun. Ich hatte allerdings nie das Gefühl, früher etwas besser gemacht zu haben. Ich will einfach nicht stagnieren und auf der Stelle treten. Ich hoffe, dass mich das Suchen nach neuen musikalischen Pfaden nie ermüdet. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und hoffe es zu bleiben (lacht).
Sie umgeben sich regelmäßig mit anderen Musikern. Tun Sie das, um sich stets neu inspirieren zu lassen?
Sie wissen, dass ich gerne die Richtung in meiner Musik wechsele. Es gibt bei mir eine große Palette an Möglichkeiten. Ich versuche immer die besten Musiker für die stilistische Ausrichtung zu finden, in der ich mich gerade bewege. Deshalb habe ich auch den Entschluss gefasst, nicht mit einer festen Band zu arbeiten.
Was werden Sie in München spielen?
Von der CD „The Joni Letters“ werden wir leider nichts bringen, zumal wir keine Sänger dabei haben. Wir werden unter anderem ein Stück unseres Gitarristen Lionel Loueke und eines von Wayne Shorter spielen. Von meinen eigenen Sachen gibt es Neubearbeitungen einiger älterer Kompositionen. So habe ich etwa „Speak Like A Child“ umarrangiert, als spezielles Design für diese Band.
Int.: Ssirus W. Pakzad
Philharmonie (Gasteig), Rosenheimer Str. 5, Beginn: 20 Uhr, Eintritt: 34,90 bis 95,40 Euro
- Themen:
- Amy Winehouse
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