Siko-Protest in München: "Die Linke ist total zerstritten"
München - Noch bevor die Demo am Samstag richtig losgeht, bekommen sich zwei Demonstranten am Stachus in die Haare. Als Schilder, Fahnen und Transparente verteilt werden, greifen zwei zufällig nach derselben Fahne. Die Männer streiten laut. Als sich Polizisten einmischen, solidarisieren sich umstehende Demonstranten und rufen: "Wir sind friedlich, was seid ihr?"
Ähnliche Szenen sollten sich später, gegen Ende der Demo, auch auf dem Marienplatz wiederholen. Einen 49-Jährigen aus München stört, dass am Eingang zum Rindermarkt Polizisten filmen. Es kommt zum Gerangel. Andere Demonstranten solidarisieren sich. Die Beamten drängen sie mit Schlagstöcken zurück. Der 49-Jährige wird festgenommen. Genauso wie ein Stuttgarter (31), der mit einer Knüppelfahne einen Polizisten am Marienplatz auf den Kopf geschlagen haben soll.

Gruppen von Demonstranten geraten aneinander
Den ganzen Samstag über ist die Stimmung phasenweise so aufgeheizt, dass auch Linke unterschiedlicher Gruppierungen immer wieder aneinandergeraten. Es geht um die ideologische Oberhoheit. Ein Demonstrant schnappt sie sich eine Fahne und verschwindet. Der Besitzer bleibt frustriert mit dem Stiel in der Hand zurück. Zwischen umstehenden Demonstranten brandet eine heftige Diskussion auf – ein regelrechter Lagerkampf, wer von ihnen die richtigen Thesen vertritt.
In einer Gruppe junger Aktivisten sticht vor allem ein hochgewachsener Mann mit Brille hervor. Er gestikuliert mit den Armen, diskutiert hochemotional. Nur mit Mühe gelingt es Umstehenden, ihn davon abzuhalten, gegenüber einigen ergrauten Klassenkämpfern handgreiflich zu werden. Erst als Polizisten ihn ansprechen, verschwindet der streitbare junge Mann.

Viel Rot bei Siko-Demos in München
Eine Demonstrantin mit Dreadlocks verfolgt das Spektakel an der Mariensäule mit Kummerfalten im Gesicht. Sie versucht, zwischen den streitenden Gruppierungen zu vermitteln. "Die Linke ist total zerstritten", klagt sie, schuld dran sei auch die Berichterstattung in den Medien, sagt sie dem AZ-Reporter.
Und noch etwas ist an diesem Samstag anders als bei früheren Siko-Demos. Vor ein paar Jahren waren viele pazifistische Symbole, die Regenbogenfahne, Friedenstauben und auch religiöse Symbolen zu sehen. Als sich die Demo kurz nach 14 Uhr diesmal vom Stachus aus in Richtung Lenbachplatz in Bewegung setzt, dominieren rote Fahnen das Bild.
Am Maximiliansplatz steigt roter Qualm auf. Durch Transparente vor neugierigen Blicken der Polizei geschützt, hat der Block der linken Jugend ein paar Rauchtöpfe gezündet. Die Demo stockt kurzzeitig.
Polizei spricht von 1.600 Teilnehmern in der Spitze
Am Odeonsplatz hat die Polizei einen Sperrriegel gebildet. Dort stehen etwa 300 Demonstranten. Sie schwenken gelb-blaue Fahnen. Die meisten von ihnen sind in München lebende Ukrainer und Ukrainerinnen, die unter dem Motto "Frieden für die Ukraine" um Unterstützung für ihre Landsleute werben. Nur ein paar Meter entfernt ziehen die Siko-Gegner vorbei – unter ihnen etliche pro-russische Aktivisten.
Kurz vor 15 Uhr erreicht der Protestzug schließlich den Marienplatz. Der Veranstalter spricht von 3.000 Teilnehmern, die Polizei von 1.600 Menschen.