Das Zeugnis der Zukunft für 100 000 Schüler
Für Bayerns Viertklässler steht fest, ob sie aufs Gymnasium, auf die Real- oder Hauptschule kommen. Eine Auslese, die immer mehr aufs schärfste kritisiert wird.
MÜNCHEN - Die Guten aufs Gymi, die weniger Guten – woandershin. Auf diese harte Auslese läuft es gerade hinaus: Rund 100 000 Viertklässler in Bayern haben gestern ihre Übertrittszeugnisse bekommen. Neben den Noten in allen Fächern steht auch eine Beurteilung der Grundschule auf dem weißen Blatt. Sie sagt, ob die Schüler für Haupt-/Mittelschule, Realschule oder Gymnasium geeignet sind – ihr Zeugnis für die Zukunft.
Die größte Gruppe steigt in die Königsklasse des Bayerischen Schulsystems auf: Laut Kultusministerium haben rund 40 Prozent mindestens eine Durchschnittsnote von 2,33 in Mathe, Deutsch und Heimat- und Sachunterricht (und eine 2,0 in Deutsch und Mathe) und dürfen aufs Gymnasium. Rund 27 Prozent gehen auf die Real- und etwa 31 auf die Haupt-/Mittelschule.
Bei den rund 2500 betroffenen Münchner Schülern sieht es ganz anders aus. Hier dürfen überdurchschnittlich viele aufs Gymnasium. Die so genannte Übertrittsquote liegt derzeit bei 54 Prozent. „Sie ist sehr hoch in München“, sagt Eva Maria Volland vom Referat für Bildung und Sport. 24 Prozent gehen auf die Haupt-/Mittelschule, nur 17 Prozent wechseln auf die Realschule.
Die Zahl der Gymnasiasten steigt seit Jahren: Laut dem Münchner Bildungsbericht wechselten 2002 noch 45 Prozent aller Viertklässler aufs Gymnasium. 2007 waren es schon 51 Prozent.
Überraschend: In der achten Klasse ist die Verteilung plötzlich anders. Dann besucht je ein Drittel der Schüler eine der drei Schularten. Ein großer Teil der Gymnasiasten ist wieder auf die Real- oder Haupt-/Mittelschule gewechselt. Sie haben es nicht geschafft – trotz des einst guten Übertrittszeugnisses.
Für viele Pädagogen ist das logisch. Dass Kinder schon mit zehn Jahren eingeteilt werden, ist für sie eine Horror-Vorstellung: Laut GEW sind Schulnoten keine haltbare Grundlage für Schullaufbahnentscheidungen. „Es gibt keine wissenschaftliche Bestätigung für die Annahme, künftige Schulleistungen von neun- bis zehnjährigen Kindern seien prognostizierbar. Das Gegenteil trifft zu. Niemand kann vorhersagen, wie Kinder sich entwickeln werden.“
Für viele Kinder und Eltern sei es einfach nur „ein beschämendes Gefühl, schwarz auf weiß lesen zu müssen, dass sie zu den circa 30 Prozent ,Aussortierten’ gehören, die nur für die Mittelschule ,geeignet’ sind“, sagt GEW-Chefin Gele Neubäcker. Bayern sei das einzige Bundesland, das Kinder noch so stark in „Schubladen“ sortiere. Tatsächlich: In zwölf Bundesländern entscheiden mittlerweile die Eltern.
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