Das Szenario des Scheiterns

Die Abendzeitung titelte am 5. September 1972 „16 Tote – die Welt trauert, München weint“. Der ehemalige Polizei- Psychologe Georg Sieber und seine Version der Geschichte.
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Tod auf dem Rollfeld: Bei der missglückten Geiselbefreiung in Fürstenfeldbruck starben die neun israelischen Sportler und die fünf palästinensischen Geiselnehmer.
ap Tod auf dem Rollfeld: Bei der missglückten Geiselbefreiung in Fürstenfeldbruck starben die neun israelischen Sportler und die fünf palästinensischen Geiselnehmer.

Die Abendzeitung titelte am 5. September 1972 „16 Tote – die Welt trauert, München weint“. Der ehemalige Polizei- Psychologe Georg Sieber und seine Version der Geschichte.

Die Abendzeitung titelte „16 Tote – die Welt trauert, München weint“ nach der misslungenen Geiselbefreiung der israelischen Sportler auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck. In den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 waren acht palästinensische Terroristen in das Quartier der Israelis eingedrungen und hatten elf Sportler als Geiseln genommen. Bei der gescheiterten Befreiungsaktion starben neun der entführten Sportler (zweiwaren bereits getötet worden), ein deutscher Polizist und fünf Geiselnehmer – es gab also noch einen Toten mehr als damals gemeldet.

Mehrere mögliche Attentats- Szenarien

„Es ist das negativste Ergebnis, das überhaupt nur denkbar ist. Dazu hätten wir keinen Rat aus Israel gebraucht“, sagt Georg Sieber, der damals als Psychologe Berater der Münchner Polizei und des Olympia- Ordnungsdienstes war und sich zuvor mit der Strategie der Deeskalation einen Namen gemacht hatte. Er hatte zur Vorbereitung mehrere mögliche Attentats- Szenarien skizziert, die sich während der Olympischen Spiele ereignen könnten. „Deswegen haben wir Attacken der damals über 15 verschiedenen Terrorgruppen aufgeschrieben.

Das Szenario 26 beschrieb, wie die PLO angreifen würde. „Genauso ein Angriff wie aus dem Lehrbuch der PLO ereignete sich dann.“ Sieber, geboren 1935, dessen Firma „Intelligence System Transfer“ noch existiert, hat nun seine Version der Ereignisse in dem Film „1972“ von Sarah Morris dargelegt. Er fügt er den vielen Fragezeichen, die bis heute hinter dem Scheitern der Befreiungsaktion stecken, ein paar neue hinzu.

Das Problem

Gemäß Sieber war es eine Entscheidung auf politischer Ebene, die die Münchner Polizei zu „Empfängern von Befehlen“ machte, während „die operative Leitung in Israel“ lag. „Die ganze Geschichte wurde so gesteuert, als fände sie irgendwo an der israelisch-palästinensischen Grenze statt.“ Das Problem laut Sieber: Die Israelis gingen von einer völlig falschen Vorstellung über die Ausrüstung der deutschen Polizei aus, dabei habe es nicht einmal echte Scharfschützen gegeben.

Walter Renner, Polizeibeamter a.D. und langjähriger Chef der Pressestelle im Polizeipräsidium München, war 1972 Zugführer und mit seinen Leuten im Olympiadorf in der Conollystraße postiert. Auf die Frage, ob die Israelis tatsächlich das Kommando geführt haben, antwortet er: „Ach wo, völliger Krampf. Und „Wir haben erst sehr viel später erfahren, dass damals Israelis dabei waren. Gerüchteweise hieß es Monate später, der Chef des Mossad sei sogar persönlich anwesend gewesen. Offiziell wurde darüber aber nie gesprochen.“

Niemand kann objektiv sein

Sieber wiederum spricht nicht etwa in einer Dokumentation, sondern in dem Film „1972“, den die Künstlerin Sarah Morris (geboren 1967) für das Münchner Lenbachhaus gedreht hat. Morris, die derzeit auch an einem Film über die Olympia-Stadt 2008, Peking, arbeitet, interessiert sich in „1972“ für das „Szenario des Scheiterns“: Die „heiteren Spiele“ scheiterten, die Attentäter scheiterten, die Geiselbefreiung scheiterte. Für sie ist die Tatsache, dass Sieber engagiert wurde, „ein progressiver Moment“ – und Siebers Schilderung zugleich Beweis, dass niemand objektiv sein kann.

„1972“ konzentriert sich weitgehend auf Siebers Erzählungen. Zu Beginn weist er auch darauf hin, dass es „keine historische Wahrheit geben kann, sondern nur die Summe subjektiver Wahrnehmungen“. Siebers Ratschläge waren dann aber plötzlich nicht mehr gefragt: „Ich habe sehr schnell gesagt, wenn wir sowieso nichts zu sagen haben, dann werde ich nicht mehr gebraucht.“ Er quittierte den Dienst noch an demselben Morgen. Und musste später im Fernsehen zusehen, wie die Tragödie ihren Lauf nahm.

Roberta De Righi/Ralph Hub

„1972“ ab Sa. bis 3. 8., Di–Fr, 10

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