Das Paradies ist eine weite Wüste
Und die Welt wird von der Kunst erlöst: Die Kitsch-Biennale in der Pasinger Fabrik.
Der Gartenzwerg. Der Plastikteller mit König Ludwig. Der bayerische Landler mit Rhythmusmaschine. Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“ als Textilbild in Kunstfaser – das alles ist für den Kunstfreund die Hölle. Die Hölle hat einen Namen: Kitsch.
Eigentlich weiß jeder, was Kitsch ist. Schwierig ist aber die Antwort auf die Frage: Was ist das Kitschige am Kitsch?
Vor zehn Jahren hat im fernen Norwegen ein unbekannter Maler mit Namen Odd Nerdrum eine Künstlergruppe gegründet, die sich selbstbewusst „Internationale Kitschbewegung“ nennt. Nun soll die „Kitsch-Biennale“ das Sprungbrett für den Flug in die Höhen weltweiten Ruhms liefern – in der Pasinger Fabrik.
Wie jede anständige Kunstbewegung hat auch die Kitschbewegung ihr Dogma. Es besteht aus Bekenntnissen wie: „Kitsch ist die Alternative zur Kunst.“ Aber auch: „Das Ziel des Kitschschaffenden ist das überzeitliche Meisterwerk.“
Man will sich abgrenzen
Was soll das? Fragt man die Künstler selbst, führt das nicht weiter. Denn der Künstler ist immer auch Promoter seiner eigenen Kunst. So ist es auch nur schlüssig, wenn die ausstellenden Maler darauf beharren, keine Künstler, sondern – Kitsch-Maler zu sein.
Man will sich abgrenzen. So wundert es nicht, wenn der Begriff Kitsch, wie die Kitsch-Bewegung ihn gebraucht, gegen die marktgängige Gegenwartskunst gerichtet ist. Aber damit nicht genug: Er richtet sich gegen den traditionellen Kunstbegriff überhaupt, damit auch gegen die Zwecke, die die Kunst stets verfolgte: ihre religiösen, politischen, kommerziellen Zwecke.
In diesem umfassenden Sinn aber wird das Wort Kitsch zur beliebig einsetzbaren Leerformel, die einen klaren Zweck verfolgt: den sich selbst so nennenden Kitsch-Maler aus dem Heer seiner Künstlerkollegen herauszuheben. Kitsch ist Kampf.
Zwangsläufig dient so dem Kitsch-Maler seine eigene Kunst als Waffe: als Waffe gegen den etablierten Kunstbetrieb, als Waffe im Kampf um Selbstbehauptung, sprich: im Kampf um Ruhm und Geld. So weit, so verständlich.
Doch fragt sich, ob die Werke der Kitsch-Maler ihrem eigenen Anspruch gewachsen sind. Die Antwort darauf findet sich naturgemäß nicht in der knarrenden Wortakrobatik selbst gefertigter Theorie, sondern in den Werken.
Das Spiel der Kitscher ist durchaus virtuos
Da sehen wir etwa: Judith mit dem Schwert, vor sich Holofernes’ abgeschlagenen Kopf; eine Frauengestalt in klassizistischer Manier; Adam und Eva im Stile des Symbolismus; einen Mann in heroischer Pose mit Flügeln wie Erzengel Gabriel. Kurz: Dieser „Kitsch“ scheint stilistisch in der Rückkehr zur naiven Gegenständlichkeit zu bestehen.
Doch die Bilder der Kitsch-Künstler sind gebrochen: Die klassizistische Dame im Stil von Jaques-Louis David hält eine Maske in der Hand und verliert so die Würde ihrer repräsentativen Haltung. Das Paradies, aus dem Adam und Eva vertrieben werden, ist eine Steinwüste, der an Franz von Stucks mystischen Realismus erinnernde Erzengel wirkt in seiner finsteren Mine eher komisch. So offenbart sich ein Spiel mit Formen und Motiven der altmeisterlichen und frühmodernen Kunst, in der sich eher der Zynismus der Postmoderne als die Handwerkstraße der Tradition spiegelt.
Dabei ist das Spiel der Kitscher durchaus virtuos: Handwerklich wären sie wohl in der Lage, den „Mann mit dem Goldhelm“ so glatt zu kopieren, dass sie jeden Laien hinters Licht führen könnten.
Wesentlich an diesem Spiel mit den Stilen ist aber, das Spiel als Spiel zu entlarven und zugleich zu verbergen, den eigenen „Kitsch“ also als Kitsch zu verhöhnen, um ihn im selben Moment als Kunst zu verherrlichen. Das ist nicht neu. Aber lausbübisch und nicht ohne Finesse – wenn es in seiner Jagd nach dem Effekt manchmal auch weh tut.
Aber auch der Gartenzwerg kann sehr verschiedene Gefühle auslösen.
Bernhard Viel
Auf einen Blick
Wo: Pasinger Fabrik (Nordseite Pasinger Bahnhof), Tel. 82929079
Wann: Bis 15. Oktober, Di - So 16 - 20 Uhr, Eintritt frei.
Wer: 43 Künstler der Kitschbewegung mit ihren Werken. Infos einschließlich Manifest: www.worldwidekitsch.com
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