Das Opfer der Folter-Kinder: „Sie musste viel leiden“
Demenz und Osteoporose: Das Opfer der Prügel-Kids war zu schwach, um noch Geige zu spielen – die Peiniger der Frau kannte man in der Schule als „liebenswerte Buben“
MÜNCHEN Körperlich geht es ihr besser, doch die psychischen Wunden werden wohl noch lange nicht verheilt sein. Die 83-Jährige, die von zwei 13 Jahre alten Buben gequält worden ist, soll in den kommenden Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Doch in ihre Zwei-Zimmer-Wohnung in Milbertshofen wird sie nach AZ-Informationen zunächst nicht zurückkehren. Was einmal ihr Zuhause war, ist zum Schauplatz ihres Martyriums geworden.
Die Buben hatten die demenzkranke Rentnerin stundenlang misshandelt (AZ berichtete). Sie zwangen die wehrlose Frau, einen halben Liter Jägermeister zu trinken, sprühten ihr Rasierschaum in den Mund, kippten Maggi-Würze und Parfüm in ihre Augen. Es sei möglich, dass sie bleibende Schäden erlitten hat, so die Polizei.
„Es ist unfassbar“, klagt Peter S. (Name geändert), der Bruder des Opfers. „Meine Schwester musste viel leiden, schon vorher.“ Beide kommen aus einer musikalischen Familie. Peter S. erzählt: „Unser Vater war Musiklehrer, seine zehn Kinder waren wie sein eigenes kleines Orchester.“ Auch Peter spielt Geige, er ist Musiker. Wie er machte seine Schwester ihre Leidenschaft zum Beruf. Viele Münchner hörten sie spielen, bis Ende der 90er war sie erste Geigerin im Theater am Gärtnerplatz. In der Musik fand die alleinstehende Frau Erfüllung, ihr Bruder sagt: „Sie war mit ihrer Geige verheiratet.“
Doch als sie 70 wurde, kam der Schock: Ärzte diagnostizierten Osteoporose, Knochenschwund. Mit den Jahren wurde die Geige in ihrer Hand jeden Tag ein wenig schwerer. Zum letzten Mal habe seine Schwester vor zehn Jahren gespielt, sagt Peter S.: „Sie konnte die Geige nicht mehr halten, die Krankheit hat ihr die Leidenschaft geraubt. Das war sehr schlimm für sie. Seitdem ist sie nachdenklich geworden. Sie grübelt viel.“
Zu der Knochenkrankheit kam die Demenz. Eine Nichte kümmert sich um die Frau. Sie sagt der AZ: „Meine Tante ist ein herzensguter und lieber Mensch, jetzt habe ich Angst um sie.“ Dass der Fall für so großes Aufsehen gesorgt hat, macht ihr Sorge: „Ich hoffe, dass der Wahnsinn endlich aufhört.“
Auch in der Christophorus-Schule, die beide Täter besuchten, herrscht Betroffenheit. Die 13-Jährigen wurden seit diesem Schuljahr in der Leibengerstraße in Riem unterrichtet – in einer sogenannten „Schule zur Erziehungshilfe“.
„Häppchenweise“ hat Schulrektorin Viktoria Spitzauer erfahren, was zwei ihrer Schützlinge angerichtet haben. „Das ist schon erstmal ein Schock.“ Sie kennt die 13-Jährigen auch als „liebenswerte“ Buben, kennt ihre positiven Seiten. „Hier sind sie nicht aggressiv aufgefallen.“ Beide seien keine Einzelgänger, sie hätten Freunde an der Schule. Spitzauer sagt: „Wir verurteilen die beiden nicht.“ Reinhard Keck, Julia Lenders
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