Geflüchtete Frauen finden Arbeit und Freunde im Nähatelier in München

Handy-Taschen, Hüte, Turnbeutel: Im Fat Cat in München verarbeiten geflüchtete Schneiderinnen Reste von Kollektionsstoffen zu Patchwork-Unikaten.
von  Eva von Steinburg
Angelina Boadu leitet die Werkstatt im Fat Cat. Hier entstehen in Handarbeit Einzelstücke aus hochwertigen Stoffresten.
Angelina Boadu leitet die Werkstatt im Fat Cat. Hier entstehen in Handarbeit Einzelstücke aus hochwertigen Stoffresten. © Daniel von Loeper

München - Leise rattern die Pfaff-Nähmaschinen. Aus der Musikbox kommt entspannte Ambient-Musik.

Drei geflüchtete Frauen, die in ihren Herkunftsländern Ukraine, der Republik Kongo und Afghanistan Profi-Näherinnen waren, sitzen am gemeinsamen Arbeitstisch. Die drei Schneiderinnen zaubern aus edlen Designer-Stoffresten Patchwork-Unikate: Taschen, und Kulturbeutel, Hüte und Brotkörbe.

Kostümbildnerin Kissi Baumann bekommt von Designern ausgemusterte Kollektions-Reste oder den Verschnitt von Schnitten für prachtvolle Roben. Manchmal sind die Stoffflecken, die sie holt, nur zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß. "Das reicht aus, um den Stoff zu verwenden", erklärt Kissi Baumann. Edler Möbelstoff aus Leinen, hochwertige Vorhänge, Seide oder weicher Cordsamt sind darunter. Lauter Reste, auch in leuchtenden Farben. "Sie würden sonst in den Müll wandern. Patchwork ist Upcycling", erklärt die Kreative.

Ein dynamisches Team (v.l.): Chefin Kissi Baumann mit Leitung Angelina Boadu und den Schneiderinnen Sabina Sypchenko, Mariam Monga und Sedige Musawi.
Ein dynamisches Team (v.l.): Chefin Kissi Baumann mit Leitung Angelina Boadu und den Schneiderinnen Sabina Sypchenko, Mariam Monga und Sedige Musawi. © Daniel von Loeper

Aus dem Regal, das bis zur Decke reicht, zieht sie eine große Arbeitstasche, von ihr als Prototyp für ein Architekturbüro entworfen. "Ich bin sehr froh, dass die Patchwork-Welle kommt. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist seit etwa einem Jahr richtig im Trend – das spüren wir", freut sie sich.

Baumann arbeitete früher als freie Kostümbildnerin für die Kammerspiele oder die Oper, später dann als Kunsttherapeutin. Seit Gründung des Münchner Wohn- und Kulturzentrums Bellevue di Monaco macht sie dort Projekte mit geflüchteten Frauen.

Auch bekannte Politikerinnen wie Claudia Roth tragen ihre Unikate aus dem Nähatelier in München

Aus ihrem Nähatelier ging 2020 das Bellevue Couture hervor. Und das kam so: Das Münchner Modelabel Talbot Runhof hat einen Showroom in der Klenzestraße, gegenüber vom Bellevue di Monaco im Glockenbachviertel. Die beiden renommierten Modemacher sind schon vor der Coronazeit auf die Nähwerkstatt in dem Geflüchtetenprojekt zugekommen.

Aus der Handarbeit der Frauen ist dieses Kleid entstanden...
Aus der Handarbeit der Frauen ist dieses Kleid entstanden... © Talbot Runhof
...ebenso dieses Stück des Labels Talbot Runhof.
...ebenso dieses Stück des Labels Talbot Runhof. © Talbot Runhof

Sie würden gerne aus dem Verschnitt der luxuriösen italienschen und Schweizer Stoffe Patchwork-Stoffe für ihre Roben anfertigen lassen. "Das haben wir dann in Puzzlearbeit kreiert. 2022 gab es eine Modenschau im Bellevue mit 40 Kleidern und Jacken von Talbot Runhof. Schirmherrin war Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ein Fan. "Sie fördert das Projekt mit privaten Bestellungen", weiß Kissie Baumann. Bei öffentlichen Terminen würde die Politikerin beispielsweise in einem schrillen grünen Patchwork-Mantel gesichtet, mit schwarz und rot. "In Handarbeit von Münchner Frauen hergestellt, das passt unheimlich gut."

Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur und Medien, trägt einen Mantel des Nähprojekts. Sie bestellt dort öfter Stücke.
Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur und Medien, trägt einen Mantel des Nähprojekts. Sie bestellt dort öfter Stücke. © Stefan Sauer/dpa

Bellevue Couture ist in das neue Atelier mit Laden im Fat Cat umgezogen. Drei Frauen, die bei ihrer Flucht alles zurücklassen mussten, gibt das Label als Unternehmen inzwischen einen Job mit festem Einkommen, mit Kolleginnen und Sinn.

Schneidermeisterin Angelina Boadu, die afrikanische Wurzeln hat, leitet die Werkstatt. Mitarbeiterin Sedige Musawi (39) hat früher mit Perlen und Pailletten bestückte Hochzeitskleider genäht, in Kabul in Afghanistan und im Iran. Heute sagt sie: "Ich liebe meine Arbeit in München".

Sabina Sypchenko (35) ist mit ihrer Mutter und ihrem Sohn als Kriegsflüchtling aus der Ukraine gekommen. Sie war lange privat untergebracht. Bei ihrer Gastgeberin hat sie sich mit einer ihrer Patchwork-Taschen bedankt. "Ich habe Freundinnen", sagt sie jetzt mit Blick auf ihre Kolleginnen. Sie geht jeden Tag in den Deutschunterricht - die Prüfung für das B1-Niveau hat sie gerade bestanden. Aus Neuhausen mit der U-Bahn kommt Mariam Monga (45) an drei Tagen in der Woche in das Couture-Atelier: "Alles gefällt mir", sagt die Kongolesin, die aus politischen Motiven ihre Heimat verlassen musste.

Sabina Sypchenko ist aus der Ukraine nach München geflüchtet. Im Atelier hat sie Arbeit und auch Freundinnen gefunden.
Sabina Sypchenko ist aus der Ukraine nach München geflüchtet. Im Atelier hat sie Arbeit und auch Freundinnen gefunden. © Daniel von Loeper

Auch das Gärtnerplatztheater und HP8 in München gaben schon Bestellungen auf

Größere Auftraggeber waren bisher: Das Symphonieorchester des BR hat letztes Jahr aus alten Bannern 500 kleine Täschchen nähen lassen zur Saisoneröffnung. Im Gärtnerplatz-Ballett Giselle trugen die Solisten Patchwork-Kostüme von Bellevue Couture. Das HP8 hat Weihnachtsgeschenke für Mitarbeiter bestellt. "Ich hoffe, dass wir noch bekannter werden", meint Kissi Baumann: "Ich fühle mich absolut verantwortlich für die Frauen. Diese Arbeit bedeutet mir sehr viel."

Kein Produkt gibt es in dem Laden ein zweites Mal: Mal ist das Futter anders, mal der Reißverschluss. "Jedes Ding ist einzigartig. Mit jedem Kauf bezahlt man Löhne. Transparenter geht es nicht", erklärt Kissi Baumann.

Der Preis geht nach Aufwand: Die cool schimmernden Kulturbeutel aus technischem Stoff kosten zum Beispiel 59 Euro, Turnbeutel 49 Euro und Handy-Taschen 39 Euro. "Das ist fast wie eine Spende, für die man etwas Schönes bekommt", findet die Leiterin des Projekts. Alle Produkte sind nach Flüssen benannt: Umhängetasche "Udi" heißt nach einem Nebenfluss der Charkiw, "Jordan" ist der Brotkorb und zarte Taschen aus Gardinenstoff haben die Schneiderinnen "Eisbach" getauft.


Bellevue Couture, Atelier & Shop, Di-Fr 10 bis 18 Uhr,
Rosenheimerstraße 5,
www.bellevuecouture.de

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