Das Erbe der Ganoven von Buenos Aires
Ralf Sartori, einer der ersten Tangueros Münchens, im Gespräch.
Ausgerechnet ein Peruaner, Juan Dietrich Lange, brachte Anfang der 80er den Tango nach Deutschland, nach Berlin nämlich. Sein Schüler Ralf Sartori half zehn Jahre später, den Tango auch in München zu etablieren. Heute gibt Sartori Stunden und veranstaltet Tangofeste.
AZ: Herr Sartori, wie sind Sie zum Tango gekommen?
RALF SARTORI: Wie man zu den meisten Dingen im Leben kommt – man fängt sie sich ein. In meinem Fall war die Initialzündung ein Tango-Film, 1982 auf der Berlinale. Fernando Solanas Film „Sur“ ist eine poetische Liebesgeschichte während der argentinischen Militärdiktatur.
Der Tango ist tief verwurzelt in der damaligen Situation in Argentinien? Wann hat das angefangen?
Der Tango ist irgendwann im 19. Jahrhundert in der Unterschicht von Buenos Aires entstanden, da stand natürlich kein Chronist daneben. Daher liegen die Anfänge des Tango auch im Bereich des Legendenhaften. Es gibt ikonenhafte Bilder von schlammigen Straßenecken, an denen tuberkulöse Fabrikarbeiterinnen mit abgezehrten Arbeitern zu einer Drehorgel ihre erste Milonga getanzt haben.
Der Tango fußt also in der Arbeiterbewegung?
Das ist eine Wurzel. Es gibt aber noch zwei weitere: Die Zuhälter und Ganoven haben Tango in den Bordellen getanzt. Ähnlich wie die Rap-Musiker heute haben sich auch die Tangueros stilisiert, um ihrer gesellschaftlichen Abwertung etwas entgegenzusetzen. Was heute dicke Autos und Goldketten sind, waren damals weiße Glacé-Handschuhe mit Ringen darüber und Nappalederschuhe mit weißen Gamaschen. Ihre Ideale waren draufgängerischer Mut – und jung zu sterben.
Und die dritte Wurzel?
Das war in der Tat die Oberschicht, die Aristokratas. Die jungen Männer gingen heimlich ins Bordell, aber nicht nur wegen der Frauen, sondern auch, um der Musik zu lauschen, Tanzschritte aufzuschnappen und unbeobachtet reden zu können. Denn diese Etablissements hatten genug Geld, um sich ein Ensemble von Musikern leisten zu können und wurden nicht von den Behörden und der Kirche beaufsichtigt.
Wie viel hat der Tango, wie er heute in München getanzt wird, damit noch zu tun?
Der Tango ist heute ein Massenphänomen geworden. Die Münchner Tangoszene ist aber immer noch hoch uneinheitlich und individualistisch. Da gibt es die normalen Tanzstudios, die erreicht jeder. Aber es gibt auch private Tanzveranstaltungen im Untergrund. Da wird in Schwabinger Altbauwohnungen getanzt. Hier weht ein bisschen der Geruch des Geheimnisvollen.
Also ähnlich vielschichtig wie in Buenos Aires um die Jahrhundertwende?
Auf jeden Fall. Trotzdem fristet der Tango in Europa immer noch ein Nischen-Dasein, das eigentlich ein künstliches ist.
Wie bekommt man den Tango wieder in seine natürliche Umgebung?
Ich versuche seit zwei Jahren den Tango aus seiner Nischen-Existenz herauszuholen, ihn in seiner offensten Form, wie er im Buenos Aires der 70er Jahre gelebt wurde, wieder aufleben zu lassen – durch so genannte Künstlerfeste: Hier wird in stilvollem Rahmen zu Livemusik getanzt, Es gibt Lyrik-Lesungen, Ausstellungen, gutes Essen und Wein. Alle Tasten der Tangokultur sollen gespielt werden.Johanna Jauernig
Ralf Sartoris „Poetischer Nymphenspiegel-Künstlerfasching“: 21.2. im Schloss Dachau, Schlossstr. 7, Dachau. Programm: Osteuropäische Weltmusik mit Pitu Pati, Lyrik und Prosavorträge, Tango. Karten: Tel.564837.
Eigene Gedichte und Gedanken zum Thema „Verkleidung und Verführung“ bei Interesse an: nymphenspiegel@aol.com.
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