Das Echo der Schüsse
MÜNCHEN - Plötzlich eskalierte die Gewalt in der Spaß-Hochburg München. Am 11. April vor 40 Jahren: Wie ein AZ-Reporter das Attentat auf den charismatischen Studentenführer Rudi Dutschke und die Folgen erlebte.
Der Anruf kam am Abend des 11. April 1968 von Freunden aus Berlin: „Habt ihr in München schon gehört, sie haben den Rudi Dutschke erschossen! Jetzt geht’s los!“ Der 11. April 1968 war ein Gründonnerstag. Und was ihm folgte, ging in die Geschichtsbücher als die „Osterunruhen“ ein. „Es kam zu Straßenschlachten, wie sie Westdeutschland seit der Weimarer Republik nicht mehr gekannt hatte“, sollte der „Spiegel“ später schreiben. In München wurde es ein „blutiges Ostern“: Zwei junge Männer kamen bei den Unruhen ums Leben.
Zwar hatte Dutschke, wie sich später herausstellte, die Schüsse, die ein verwirrter junger Hilfsarbeiter auf ihn abfeuert hatte – wenn auch mit schwersten Hirnverletzungen – überlebt. Doch auch für uns Münchner Studenten von damals war der „rote Rudi“ die charismatische Identifikationsfigur der jugendlichen Rebellion gegen die verkrustete Spießergesellschaft, gegen Vietnamkrieg und die geplante Einschränkung der Freiheitsrechte durch die Notstandsgesetze.
Nur ein Ziel: Die Schellingstraße
Für uns Münchner Studenten gab es an diesem und den folgenden Tagen nur ein Ziel: das Buchgewerbehaus an der Schellingstraße, Sitz der Druckerei des Springerverlags und der Münchner Redaktion der Bild-Zeitung. Hatte doch die Springer-Presse, allen voran Bild, schon seit Monaten mit polemischen Artikeln gegen die demonstrierenden Studenten agitiert, Dutschke zum „Volksfeind Nr. 1“ hochstilisiert.
„Bild hat mitgeschossen“ und „Heute Dutschke, morgen wir“ hießen die studentischen Parolen, die schnell die Runde machten. Doch in den ersten Tagen blieb alles noch relativ friedlich. In München, damals die „Spaß-Hochburg der 68er-Bewegung“, so der heutige OB Christian Ude, glichen Demos eher einer Mischung aus Happening und Fasching. Demonstranten und Polizisten hatten sich seit den „Schwabinger Krawallen“ von 1962 an einen moderaten Umgang miteinander gewöhnt. Neben Tomaten und Eiern flogen dabei als „militante“ Wurfgeschosse allenfalls mal Stinkbomben.
Das Ende einer Utopie
In der Nacht des Ostermontag aber eskalierte die Gewalt. Mit Barrikaden aus Holzbohlen, Eisenstangen und Pflastersteinen von einer nahgelegenen Baustelle wollten inzwischen schon 3000 Demonstranten die Auslieferung der Bild-Zeitung verhindern. Und die Polizei reagierte mit Härte: Wasserwerfer und Knüppel kamen zum Einsatz, aus der Menge heraus wurden wahllos Leute festgenommen, Frauen an den Haaren in Polizeiautos gezerrt. Schließlich flogen die ersten Pflastersteine, die Demonstration artete zur blutigen Schlacht aus. Eine Nacht, die im Schrecken endete: Zwei junge Menschen, der Pressefotograf Klaus Frings (32) und der Student Rüdiger Schreck (27), waren in dem Gefecht durch Steinwürfe oder Knüppelschläge tödlich verwundet worden – die genauen Umstände wurden nie geklärt. „Blutige Ostern“ – für uns damals auch das Ende der Utopie von einer „friedlichen Revolution“.
Fritz Janda
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