Das blaue Licht über dem Tegernsee

Märchenwald, Marterln und Alpenpanorama: eine Winterwanderung auf den Hirschberg
von  Abendzeitung
Der Hirschberg ist einer der schönsten Aussichtsberge in den bayerischen Voralpen. Panoramablick über den Geierstein hinüber zum Brauneck und der Benediktenwand.
Der Hirschberg ist einer der schönsten Aussichtsberge in den bayerischen Voralpen. Panoramablick über den Geierstein hinüber zum Brauneck und der Benediktenwand. © Bernhard Viel

Märchenwald, Marterln und Alpenpanorama: eine Winterwanderung auf den Hirschberg

Der Wind pfeift. Der Tee ist kalt. Und nach drei, vier Gipfelfotos sind die Finger starr.

„Grandios“, sagt ein Mann. In der Tat: Die Aussicht ist kaum zu übertreffen. Weit im Süden stanzt die Zugspitze ihr Massiv in den stahlblauen Himmel. Nach Osten hin reißt der Jubiläumsgrat seine gezackte Linie in den Horizont. Und weiter schweift der Blick über die gezahnten Kämme des Karwendel, über die zarten Spitzen des Rofangebirges, bis im Osten wieder die heimischen Gipfel auftauchen – der Schinder, der wie das aufgesperrte Maul eines Urweltriesen in den Himmel gähnt, der Risserkogel, der schmale Felsturm des Blankenstein.

„Bombastisch“, ruft einer in den Wind und zieht seine Kamera. Ach ja, der Wind: Wir hatten ihn für fünf Minuten vergessen über dem atemberaubenden Panorama der Alpenkette. Meist weht ja über den Kegel des Hirschbergs ein strammes Lüftchen, aber heute, an diesem klaren Wintertag, dringt der Ostwind bis an die Knochen.

Der Hirschberg – man rühmt ihn als herrlichen Aussichtsberg. Sonst gilt er als problemlos: ein Wanderberg wie die anderen Münchner Hausberge auch. Aber hat jemals jemand am Herzogstand ein Marterl entdeckt? Hingegen ist der Weg auf den Hirschberg gesäumt von Marterln, den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Warnung.

Es ist kurz vor Neun, als wir in Scharling aus dem Bus steigen und in westlicher Richtung der Hirschbergstraße folgen. Sie geht nach wenigen hundert Metern in einen breiten Forstweg über, der immer wieder den Blick auf die lang gestreckte, verheißungsvoll in der Morgenluft gleißende Ostflanke des Hirschbergs freigibt. Der Schnee knirscht. Und bald taucht, zum Erstaunen des Wanderers, zwischen den Tannenstämmen am Wegesrand ein kleines Holzkreuz auf: Es gilt dem Bäcker Hans Luber, der hier am 16. Januar 1949, 28-jährig, „in einem Schneesturm ums Leben kam.“ In einem Schneesturm also.

Bevor wir noch den Steig erreicht haben, der links vom Forstweg abzweigt, entdecken wir das nächste Marterl. Es erinnert an einen gewissen Hans Kressirer. Die Ursache seiner Verunglückung ist nicht genannt.

Es geht vorbei an bizarren Felstrümmern

Dann aber schwenken wir in den Steig ein – der Forstweg, über den auch schon die ersten Rodler geflitzt kommen, ist reizlos. Nach einigen hundert Metern haben wir die Talstation des Versorgungslifts erreicht, wo der Aufstieg zum Osthang beginnt – und schon sehen wir aus dem Schnee das dritte Marterl spitzen. Besser, man verdrängt die Frage, ob das gute oder schlechte Vorzeichen sind. Ein leiser Wind kommt auf.

Bekanntlich teilt sich dieser Anstieg in einen Sommer- und einen Winterweg. Wir wählen den Winterweg – das ist nicht selbstverständlich, da der Sommerweg, wenn er nicht wegen Lawinengefahr gesperrt ist, auch im Winter der leichtere ist.

Spannender aber ist der andere. Er führt an bizarren Felstrümmern vorbei und wird am Ende so steil, dass er vorsichtshalber mit Drahtseil gesichert ist. Auch sind die Tritte in der Schneespur schmal, ohne Stöcke wäre kein Vorwärtskommen mehr. Der Wind frischt auf, er pfeift jetzt eisig von Osten her. Sonst ist es still, kein Mensch scheint unterwegs.

Noch ein paar kräftige Schritte und wir haben den „Kratzer“ erreicht, jene Kante, über die man auf das Hochplateau gelangt. Und schon lockt hundert Meter unterhalb das Hirschberghaus, gegenüber aber winkt der weiße Gipfel. Eine knappe Stunde noch trennt uns von ihm, und in dieser Stunde wird reichlich Schweiß fließen. Doch führt der Weg durch einen Märchenwald, dessen windgekrümmte Äste von Eisröhren überzogen sind, die in der Sonne funkeln, als würde Aladins Wunderlampe sie bestrahlen. Und dann diese Aussicht! Keine noch so gemütliche Hütte kann uns da locken. Mag der Wind pfeifen wie er will. Bernhard Viel

Infos zur Tour

Ziel: Hirschberg, über dem Tegernseer Tal, östliche bayerische Voralpen. 1668 Meter Charakter: beliebter Aussichtsberg. Aufstieg im Sommer ohne Schwierigkeiten; als Winterwanderung von besonderem Reiz, doch Vorsicht: der „Winterweg“ setzt Trittsicherheit und eine gewisse alpine Erfahrung voraus. Der „Sommerweg“ ist leichter, oft aber wegen Lawinengefahr gesperrt. Vor der Tour sicherheitshalber beim Alpenverein nachfragen unter Tel: 089/29 49 40, www.alpenverein.de

Ausrüstung: normale Bergwanderausrüstung, Teleskopstöcke unerlässlich, Grödeln empfehlenswert. Gastronomie: Berggasthaus Hirschberg, ganzjährig geöffnet, Dienstag Ruhetag. Erbsensuppe mit Wiener 5,90 Euro, die Halbe 3,30, Wasser 2,60 Euro. Anfahrt: Mit der BOB ab 6.42 jede Stunde vom Münchner Hauptbahnhof) bis Tegernsee, dann mit dem Bus bis zur Haltestelle „Scharling“. Oder mit dem Autovon München aus auf der B 318 bis Tegernsee, dann auf der B 307 bis Scharling.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.