Darum wird es bei einigen Münchner Friseuren gerade ganz ruhig

Einfach mal Ruhe- wenigstens beim Haareschneiden: Einige Münchner Friseure bieten einen "Silent Cut", also stillen Schnitt, an. Das sagen Trendsetter und Traditionsfriseure dazu.
Anna Kelbel |
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Einmal im Jahr lässt Robby Hirtl (66), Wirt des Gasthauses "Zur Mühle" in Straßlach-Dingharting, es sich bei der Friseurmeisterin Laura Ilson Suni gut gehen. Einen "Silent Cut", den Suni seit dem 1. September anbietet, hat er nicht gebucht. Die Friseurmeisterin und Hirtl unterhalten sich beim Haareschneiden häufig über die Liebe.
Einmal im Jahr lässt Robby Hirtl (66), Wirt des Gasthauses "Zur Mühle" in Straßlach-Dingharting, es sich bei der Friseurmeisterin Laura Ilson Suni gut gehen. Einen "Silent Cut", den Suni seit dem 1. September anbietet, hat er nicht gebucht. Die Friseurmeisterin und Hirtl unterhalten sich beim Haareschneiden häufig über die Liebe. © Anna Kelbel

Kammäleon, Hairlich, Bahaarmas – Friseure lieben Wortspiele. Und sie lieben einen Ratsch. Sie wissen haargenau, wie es im Leben ihrer Kunden und Kundinnen aussieht. Ob als Psychologen, Ratgeber oder Tröster: Friseure helfen bei – Achtung, Wortwitz – Kopfsachen in mehrerlei Hinsicht.

In einigen Münchner Salons ist es allerdings recht still geworden. Der Grund: Dort können Kunden einen "Silent Cut" buchen. Beim Haareschneiden wird auf Bestellung geschwiegen – selbstverständlich ohne Aufpreis. Die Bewegung stammt ursprünglich aus England. Der Gedanke dahinter: In einer Zeit, in der alles immer schnelllebiger wird, sollen sich Kunden zumindest beim Friseur entspannen. Die AZ hat sich bei Münchner Friseuren umgehört.

"Silent Cut" in München: "Immer mehr Leute kommen mit Kopfhörern und Laptop"

In der Schweigerstraße in Haidhausen ist der Straßenname Programm: Hier kann man beim Friseurbesuch einfach mal schweigen. Friseurmeisterin Laura Ilson Suni hat sich zum 1. September als "Laura-ARTverwandt" selbstständig gemacht und einen Friseurstuhl im Salon "Kaiserschnitt" angemietet.

Seither bietet die 48-Jährige auch den "Silent Cut" an. "Bei mir kann man neben einem normalen Termin auch extra einen ,Lauten Cut’ buchen", so Suni.

10 Prozent buchen den Silent Cut bei Suni

"Es soll sich jeder wohlfühlen. Ich habe vollstes Verständnis, wenn jemand nach einem anstrengenden Tag lieber nicht reden möchte." Rund zehn Prozent aller Kunden entscheiden sich bisher für einen Silent Cut, genauso viele auch für einen "Lauten Cut". 32 Jahre hantiert Suni schon mit Schere, Kamm und Farbpinsel. Ihre Beobachtung: "Immer mehr Leute kommen mit Kopfhörern im Ohr in den Salon oder nehmen ihren Laptop mit."

Einen Silent Cut bietet "Lippert’s Friseure" nicht an. Matthias Meusel ist es trotzdem recht, wenn es beim Haareschneiden ab und zu still ist.
Einen Silent Cut bietet "Lippert’s Friseure" nicht an. Matthias Meusel ist es trotzdem recht, wenn es beim Haareschneiden ab und zu still ist. © Anna Kelbel

Das merkt auch Matthias Meusel. Er ist der Salonmanager des 1952 gegründeten "Lippert’s Friseure" im Lenbachpalais. "Zu uns kommen viele Geschäftsleute, die haben häufig etwas zu tun." Auch Promis wie Paris Hilton und Verona Pooth ließen sich hier schon einen neuen Haarschnitt verpassen. Trotzdem lebt der Traditionsfriseur nach wie vor von seinen Stammkunden.

Gesprächsthemen seit Corona häufig düster

"Die möchten sich natürlich gerne unterhalten." Bei "Lippert’s Friseure" werden für solche Kunden teils Listen angelegt. Dort sind Vorlieben der Kunden ("Trinkt gerne Cappuccino", "liest am liebsten die ,Vogue'") oder Gesprächsthemen vermerkt. Die seien seit Corona häufig düster. Oft kippe die Stimmung, wenn es um Politik gehe. Da raucht dem Haarexperten nach zehn Stunden voller Gespräche hin und wieder der Kopf.

Ein "Silent Cut" bei "Lippert’s Friseure"? Meusel schüttelt den Kopf. "Jeder unserer Mitarbeiter ist so professionell, dass wir merken, wenn ein Kunde nicht sprechen möchte."

Robert Budzinski umsorgt seine "schwierigste" Kundin, Ehefrau Gabriele Neidhardt. Er freut sich, wenn Kunden einen "Silent Cut" bei ihm buchen.
Robert Budzinski umsorgt seine "schwierigste" Kundin, Ehefrau Gabriele Neidhardt. Er freut sich, wenn Kunden einen "Silent Cut" bei ihm buchen. © Anna Kelbel

Robert Budzinski, Inhaber von „Budz Friseure“, schätzt, dass rund 30 Prozent einen „Silent Cut“ buchen. Der 56-Jährige und seine Frau Gabriele Neidhardt hatten von dem Trend zuerst in Friseur-Facebookgruppen gelesen.

Ganz neu war das Konzept für das Ehepaar nicht: „Schon in der Coronazeit haben wir verboten, über das Virus zu reden. Ein Friseurbesuch soll Wellness sein, der dem Kunden Abstand zum Alltag ermöglicht“, erklärt der Friseurmeister mit Salon in Schwabing.

Silent Cut: "Kopf ist bei der Arbeit freier“

Er war in seinem Geburtsland Polen der erste Mann, der neben dem Herrenfach auch das Damenfach lernte. Ein Mann habe bisher noch nie einen „Silent Cut“ bei ihm gebucht. „Ich freue mich jedes Mal, wenn Kunden dieses Extra buchen. Das Ergebnis wird zwar nicht besser, schließlich bin ich Profi, aber mein Kopf ist bei der Arbeit freier.“

Einen „Silent Moment“ bekommen die Kunden von Christian Kaiser, Obermeister der Friseurinnung München, wenn die Farbe einwirkt.
Einen „Silent Moment“ bekommen die Kunden von Christian Kaiser, Obermeister der Friseurinnung München, wenn die Farbe einwirkt. © Anna Kelbel

Der Obermeister der Friseurinnung München, Christian Kaiser, sieht das anders. In seinem Salon in Sendling bietet der 56-Jährige keinen stillen Schnitt an. "100 Prozent Silent Cut ist nicht möglich", so Kaiser, der, passend zu seinem Namen, beim Salon König lernte. Schneide- oder Föhngeräusche, aber auch Gesprächsfetzen vom Stuhl nebenan seien unvermeidlich. "Da bräuchte man schon eine abgeschlossene Kabine."

Außerdem müsse man den Kunden beraten und ihn etwas kennenlernen, um zu sehen, welche Frisur für ihn passt. Für Kaiser, seit 23 Jahren Obermeister, ist "Kommunikation eine Schlüsselqualifikation im Friseurhandwerk".

"Bin gerne im Austausch – am liebsten über Politik"

Wenn jemand seine Ruhe möchte, akzeptiert er das auch. Gerade beim Haarewaschen sollen seine Kunden entspannen: "Ich bin jedoch auch gerne im Austausch – am liebsten über Politik."

Unter den Stammkunden des Friseurmeisters mit Salon in Sendling sind einige Politiker. "Auch welche, mit deren Meinung ich nicht immer übereinstimme", so Kaiser. "Aber ich schätze den Diskurs sehr."

Im "Silent Room" im ersten Obergeschoss ihres Friseursalons möchte Jasmin Kohlmayer, dass ihre Kunden zur Ruhe kommen.
Im "Silent Room" im ersten Obergeschoss ihres Friseursalons möchte Jasmin Kohlmayer, dass ihre Kunden zur Ruhe kommen. © Anna Kelbel

Am Zeitgeschehen dran zu bleiben, das ist auch der Friseurmeisterin Jasmin Kohlmayer wichtig. "Damit man mit den Kunden gut ins Gespräch kommt." Trotzdem mag die 50-Jährige es gerne etwas ruhiger: In ihrem Salon in der Schwanthalerhöhe bietet sie schon seit zwei Jahren einen "Silent Cut" an.

Ein Zehntel ihrer Gäste nimmt das stille Angebot an

Dafür hat sie im ersten Obergeschoss ihres Ladens einen "Silent Room", also einen stillen Raum, eingerichtet. "In der Friseurbranche geht es oftmals sehr laut zu, da schadet ein bisschen Ruhe nicht."

Ein Zehntel ihrer Gäste nimmt das stille Angebot an. "Ich hätte gerne, dass es noch mehr sind", so die Saloninhaberin mit acht Mitarbeitern. "Wellness ist inzwischen fast schon ein totes Wort, aber ich möchte eine Art ,Head Spa’ aufbauen."

Der Grund: Zeit für Entspannung nähmen sich die wenigsten Leute, zum Friseur müsse hingegen jeder. Dass sich der "Silent Cut" in München etabliert, glaubt Kohlmayer nicht – "zumindest nicht unter diesem Namen".

Vielmehr vermutet Kohlmayer, dass immer mehr Friseursalons eine Ruheoase für Kunden schaffen werden: "Die Leute sollen den Laden nicht nur mit einem neuen Haarschnitt, sondern auch mit einem neuen Gefühl verlassen."

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