Concierge bei Olympia: "Die Begeisterung war beispiellos"
München - Die Olympischen Spiele vor 50 Jahren haben offensichtlich viele schöne Erinnerungen bei Wolfgang Scholz hinterlassen. Zwischen seinen Erzählungen lächelt er viel und offenbart ein markantes Gebiss. Weiße Haare, nach hinten gekämmt, ein schwarzes Sakko mit Streifen, dazu ein dünnes Leinenhemd, eine weinrote Hose.
Zwei auffällige, goldene Ringe mit Schmucksteinen zieren die Hand, eine elegante Armbanduhr rundet das Bild des klassisch gekleideten Kulturliebhabers ab. Besonders die Oper habe es ihm angetan, sagt der 72-Jährige.
"Waldi, Maskottchen der Spiele, besitze ich noch als Andenken"
Scholz hat sich in der Pharma-Branche einen Namen gemacht. Der gebürtige Westfale gründete vor 40 Jahren die "Scholz Datenbank" in München, weshalb er bis heute mit der Stadt verbunden geblieben ist. Ganz besonders verbinden ihn mit München auch seine Erinnerungen an die Olympischen Spiele 1972, die er als Ehrenbegleiter hautnah miterleben durfte.
Zu diesem Job ist Scholz "wie die Jungfrau zum Kind" gekommen, wie er sagt. Ursprünglich habe er zusammen mit einem Studienkollegen eine Geschäftsidee gehabt: Sie wollten VIP-Stadtführungen für die Besucher der Olympischen Spiele anbieten. Um sich Rat einzuholen, suchten sie das Büro des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) auf und trafen dort prompt auf Prinzessin Reuß. "Sie war in Akten vertieft und hörte uns gar nicht so genau zu, fragte aber schließlich, ob wir Ehrenbegleiter werden wollen", erzählt Scholz lachend. "Das bejahten wir spontan." Das NOK habe nach Betreuern für die IOC-Mitglieder gesucht. Deren Aufgabe habe vor allem darin bestanden, zu dolmetschen und sich um logistische Fragen zu kümmern.
Anfangs schreckte die symbolische Aufwandsentschädigung von einem Dollar am Tag Scholz noch davon ab, tatsächlich mitzumachen. Diese wurde aber dann doch deutlich erhöht. "Mir wurde schließlich auch klar, dass das eine einmalige Gelegenheit ist." Er bewarb sich und wurde genommen.
Fünf Wochen, einschließlich der Vorbereitungszeit, die er niemals vergessen wird. Eine Zeit, die ihn als jungen Menschen haben reifen lassen, wie er sagt. Begegnungen mit ranghohen Würdenträgern wie dem spanischen Thronfolger Juan Carlos gehörten dazu. Damals war er 22 Jahre alt. Sicherlich eine Herausforderung.
Medaillen sollten nicht von Politiker übergeben werden
Scholz erinnert sich: "Wir waren gute Gastgeber und bis zum Attentat war die Stimmung einfach fantastisch. Die Zusammenarbeit von allen Beteiligten, die Hilfsbereitschaft und die Begeisterung waren beispiellos. Die vielen Hostessen in ihren pastellfarbenen Dirndln ließen diese Olympischen Spiele bunt und weltoffen erscheinen." Er packt ein buntes Stofftier aus, einen Dackel. "Waldi war das Maskottchen der Spiele, das einzige Andenken, das ich noch besitze. An seinem Ohr trägt er das Emblem der spanischen Mannschaft."
Scholz wurde dem IOC-Protokollchef Juan Antonio Samaranch zugeteilt, der später Präsident des Komitees wurde. Dessen Hauptaufgabe bei den Spielen habe darin bestanden, sicherzustellen, dass die Medaillenvergaben den Regeln des IOC entsprachen. Besonders wichtig sei dem IOC gewesen, dass die Medaillen nicht von Politikern übergeben wurden.
"Das bedeutete für mich, dass ich mit Samaranch von einem Finale zum nächsten fahren durfte", erzählt Scholz mit Begeisterung in den Augen. Chauffiert in einer Mercedes-Limousine. Jeden Morgen sei er im Headquarter, dem Hotel Vierjahreszeiten, angetreten, um dann das Tagesprogramm zu erfahren: "Samaranch war da sehr spontan, ich wusste immer erst kurz vorher, wohin es geht und wie ich den Fahrer instruieren sollte."
Gefragt nach den sportlichen Höhepunkten, die er live erlebt hat, kann sich Scholz schwer entscheiden: "Ganz beeindruckend war der Sieg der deutschen Damen beim vier Mal Hundert Meter Staffellauf im Olympiastadion. Der Jubel des Publikums ist den deutschen Damen an der Spitze des Laufs im Kreis gefolgt. Eine Woge der Begeisterung. Alle waren vollkommen aus dem Häuschen", erinnert sich Scholz.
"Irgendwie war da immer ein guter Geist zu spüren"
Dann sei da noch der Sieg des deutschen Speerwerfers Klaus Wolfermann stark in Erinnerung geblieben. "Der Speer flog und es war mucksmäuschenstill im Olympiastadion. Als absehbar war, dass das ein weiter Wurf werden würde, schwoll der Jubel im Publikum immer mehr an. Mir kam es vor, als wäre der Speer auf der Schallwelle noch ein Stück weitergetragen worden", so Scholz. "Irgendwie war da immer ein guter Geist zu spüren."
Bis das Attentat dem guten Geist ein Ende setzte. Zusammen mit Samaranch und dessen Presseteam verbrachte Scholz den Tag des Attentats im Pressezentrum, sie verfolgten die Ereignisse. "Als spätabends dann die Falschmeldung kam, alle Geiseln seien befreit und die meisten Terroristen tot, sind wir erst einmal erleichtert ins Bett gegangen."
Am nächsten Morgen im Hotel dann der große Schock durch die Richtigstellung, dass die Befreiungsaktion vollkommen gescheitert und alle Geiseln getötet worden seien. "Samaranch war wutentbrannt über die Fehlmeldung. Im Auto sagte er immer wieder: 'Die Deutschen haben uns belogen.' "Ich habe seine ganze Wut auf die Deutschen abbekommen", versetzt sich Scholz zurück.
Er habe sich damals kaum vorstellen können, dass die Spiele fortgesetzt würden. Doch das wurden sie. "Samaranch stellte noch bei der Autofahrt klar: ,The games must go on.' Man würde sich die Spiele nicht von den Terroristen kaputt machen lassen." Doch die "Leichtigkeit des Seins", wie Scholz die Stimmung vor dem Attentat beschreibt, sei wie weggeblasen gewesen. "Es kam mir vor, als würde das Programm nur noch abgearbeitet", erinnert sich Scholz.
"Die Olympischen Spiele haben mich fasziniert"
Die positiven Erlebnisse scheinen dennoch einen deutlich gewichtigeren Stellenwert in seinen Erinnerungen zu haben: "München leuchtete damals und das tut die Stadt noch immer." Seine lebenslange Liebe zu München, die Attentäter haben sie nicht auslöschen können.
Was ihm von dieser Zeit geblieben sei? "Die Olympischen Spiele haben mich fasziniert. Die Farben, die Musik, die Aufbruchsstimmung, der Teamgeist, die Weltoffenheit. Ich habe gelernt, die Dinge spielerisch anzugehen und mit unerwarteten Ereignissen umzugehen. Und dass es wichtig ist, trotz Arbeit und Mühe immer auch Spaß an der Sache zu haben."