Cannabis legal: Was bedeutet das für München?
München - Nirgendwo in Deutschland wird Kiffen so hart bestraft wie in Bayern. Zumindest: noch.
Irgendwann in den nächsten vier Jahren soll sich das ändern. Denn die Regierung hat die Legalisierung von Cannabis im Koalitionsvertrag verankert. Wann genau sie kommen wird, ist zwar noch unklar. Aber klar ist: Wenn sie kommt, dann wird das die Zahl der Drogendelikte in München drastisch reduzieren.
"Wer kiffen möchte, der tut das bereits"
Von den 7.025 Fällen, in denen die Polizei München im Jahr 2020 wegen des Konsums von Rauschgift ermittelte, betrafen fast 70 Prozent den Konsum von Cannabis. Welche Auswirkungen wird die Legalisierung auf die Menschen in München haben?
"Ich vermute, dass der Konsum kurz nach der Legalisierung etwas steigen wird - aber dann auch schnell wieder auf das aktuelle Niveau sinken", sagt Siegfried Gift, Sozialarbeiter und Leiter der Abteilung Jugendsucht und Familienhilfe bei Condrobs.
"Wer kiffen möchte, der tut das bereits", sagt er. "München ist eine der Regionen, in denen durchaus ambitioniert Cannabis konsumiert wird. Studien zeigen, dass rund 30 Prozent aller Jugendlichen hier in der Stadt mal eine längere Phase des Cannabis-Konsums haben."
Gift weiß, wovon er spricht: wohl keine andere Stelle arbeitet so intensiv mit Drogen konsumierenden Jugendlichen wie Condrobs. Sie betreiben eine Suchtberatung für Minderjährige ebenso wie eine stationäre Jugendhilfe. Besonders in Letzterer ist der Anteil an Cannabis-Konsumenten hoch: "Fast die Hälfte aller Jugendlichen ist wegen Cannabis hier", sagt Gift. Trotzdem ist er für die Legalisierung.
Die Polizei holt 15-jährige Kiffer von der Schule ab
"Gerade im Jugendalter sehen wir immer wieder, dass die Bildungsbiografie von jungen Menschen durch die Kriminalisierung einen Bruch bekommt", sagt er. "Das funktioniert oft so: Ein junger Mensch verkauft Cannabis und über irgendeinen Weg gerät sein Handy an die Polizei. Dann hat die Polizei sofort Einblick in die Namen von allen, die je bei ihm etwas gekauft haben."
In der Folge würden die jungen Leute oft von der Polizei an der Ausbildungsstätte oder von der Schule abgeholt. "Da sind sie oft gerade 15 oder 16 Jahre alt - und weil ihre Schule oder Arbeit darauf natürlich reagieren, haben sie dann direkt einen Bruch in ihrer Bildungsbiografie."
Die Situation in Bayern sei dabei eine besondere, so Gift. "In allen anderen Bundesländern wird der geringe Konsum nicht bestraft. Aber in Bayern wird nur die erste Anzeige eingestellt - und danach gibt es direkt Anklagen, die schnell sehr großen Druck auf die Jugendlichen ausüben."
"Ich vermute, dass der gerichtliche Druck abnehmen wird"
Wobei, wie Gift betont, bislang noch nicht geklärt ist, wie sich die Legalisierung auf Jugendliche auswirken wird. "Für Minderjährige wird der Konsum ja weiter verboten bleiben. Aber ich vermute, dass der gerichtliche Druck abnehmen wird - und das ist das Wichtigste."
Wenn der gerichtliche Druck abnimmt - hat das auch Auswirkungen auf die Arbeit von Polizei und Gerichten? Die Polizei kann dazu keine Angaben machen und verweist auf ihre politische Neutralität zu gesetzgeberischen Prozessen.
Wie viele Kontrollen aufgrund des Verdachts auf Cannabis-Konsum sie im Monat durchführt, lasse sich ebenfalls nicht sagen - man führe "keine Listen über die Kontrolltätigkeit". Protokolliert werde nur die Zahl der Anzeigen.
Aktuell fehlt es an flächendeckenden Suchtberatungen für Jugendliche
Das Amtsgericht dagegen rechnet zumindest mit einer "gewissen Entlastung". Allerdings weist Pressesprecherin Julia Burk darauf hin, dass Verfahren wegen des Konsums von Cannabis aktuell "unterdurchschnittlich aufwendig" seien. Gerade bei den Jugendgerichten würde der Aufwand bei Verfahren wegen geringer Mengen Cannabis oft dadurch verkürzt, dass "die Angeklagten häufig geständig sind".
Letzten Endes, darauf weisen alle Stellen hin, hängen die Folgen der Legalisierung aber davon ab, wie genau die Gesetzeslage dann aussehen wird. Das ist aktuell noch unklar. Siegfried Gift sagt: "Ich hoffe, dass die Einnahmen, die der Staat aus der Legalisierung erzielt, in Forschung und Versorgung fließen werden."
Aktuell fehle es beispielsweise an flächendeckenden Suchtberatungen für Jugendliche. "Und auch in jugendpsychiatrischen Einrichtungen sind seit langem alle Plätze belegt. Das bedeutet, dass Jugendliche keinerlei stationäre Unterstützung bekommen können, wenn sie süchtig geworden sind und aufhören wollen. Einen Platz bekommen sie erst, wenn es so schlimm geworden ist, dass sie beispielsweise eine Psychose entwickelt haben."
Auch für die Aufklärung über Risiken könnte eine Legalisierung helfen
Für Gift ist wichtig, klarzumachen: "Es gibt zwei Gruppen von Cannabis-Konsumenten. Die meisten Leute können Cannabis konsumieren, ohne dass daraus gesundheitliche Probleme für sie entstehen. Aber es gibt eben auch eine kleine Gruppe, die sehr gefährdet dafür ist, abhängig zu werden oder psychische Probleme zu entwickeln. Das hängt von der Genetik und den Lebensumständen ab."
Auch für jene Menschen, für die Cannabis-Konsum eine Gefährdung darstelle, könne die Legalisierung eine Verbesserung darstellen. "Das sehen wir alleine schon im Bereich der Aufklärung", sagt Gift. "Aktuell gibt es aufgrund der Kriminalisierung große Hemmungen, mit Jugendlichen über den richtigen Umgang mit Cannabis zu sprechen. Und so informieren sie sich stattdessen über ominöse Chat-Foren."
Die Legalisierung könnte für viele Menschen in München also eine Entlastung bringen - in vielerlei Hinsicht.