Brauerbund: Migranten schuld an der Bierkrise
Auf der verzweifelten Suche nach Erklärungen für den sinkenden Konsum präsentiert der bayerische Interessenverband eine reichlich skurrile Variante: Zuwanderer wie Muslime trinken zu wenig
MÜNCHEN Wenn der bayerische Bier-Absatz schwächelt, schmeckt das den bayerischen Brauern natürlich nicht (AZ berichtete). Da müssen Erklärungen her. Ziemlich einfach hat es sich jetzt der Bayerische Brauerbund gemacht: Er erklärt den sinkenden Bierkonsum mit dem Bevölkerungswandel und zielt damit vor allem auf Migranten.
Die Formulierung in den Unterlagen zur Jahrespressekonferenz am vergangenen Donnerstag kommt denkbar skurril daher und verursacht mehr Schädelbrummen als fünf Maß: Von „demographischer Entwicklung“ ist die Rede, von „sinkender Bevölkerung“ und schließlich vom „steigendem Anteil von Mitbürgern mit Migrationshintergrund, deren Bieraffinität weit hinter der bayerischen zurückbleibt – wenn sie denn überhaupt Alkohol zu sich nehmen“.
Trinken Mitbürger mit Migrationshintergrund zu wenig? Offenbar geht es um Muslime, deren Glaube Alkohol verbietet. Sie bilden in München die drittgrößte Religionsgemeinschaft – nach Katholiken und Protestanten. Leider hat sich der Brauerbrund nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, wie groß die „Bieraffinität“ von Christen ist. Nicht jeder, dessen bayerische Wurzeln noch so tief reichen, mag schließlich Bier. Ungeklärt ist auch die Rolle, die nach Bayern zugereiste Deutsche spielen und welchen Anteil konvertierte Weintrinker am Minus im Freistaat haben. Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack: Hier werden zwei Themen in wenigen dünnen Sätzen und ohne konkrete Zahlen unbeholfen verknüpft.
Alles nur ein Missverständnis, rudert Lothar Ebbertz, Geschäftsführer vom Bayerischen Brauerbund, auf AZ-Anfrage zurück. Migration sei selbstverständlich als Synonym für „Umziehen“ zu verstehen, auch innerhalb Deutschlands. „Das Verhältnis echter Bayern zum Bier ist ein anderes als das von Leuten aus anderen Kulturkreisen.“ Wie Niedersachsen und Westfalen.
Vanessa Assmann
Kommentar: Lactose-Intoleranzler schaden der Milchwirtschaft!
Man kann über die Erfolge und Misserfolge von Integration durchaus geteilter Meinung sein, aber den in Bayern lebenden Migranten jetzt die Krise des Bierwesens anzukreiden, lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass die Experten vom Brauerbund selber zu tief ins Glas geschaut haben.
Ginge es nach denen, wäre es wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Politiker beim Einbürgerungstest auch die Trinkfestigkeit überprüfen will. Motto: Wer bei uns lebt, muss sich anpassen – und dazu gehören mindestens drei Halbe pro Tag. Der Wirtschaftsminister fordert dann das gezielte Anwerben von Iren und Schotten. Und demnächst kommt die Schweinefleischindustrie auf den Gedanken, ihre Absatzprobleme den Muslimen und Juden anzuhängen.
Klar, das wäre für viele Branchen natürlich eine bequeme Lösung, die Ursache für die eigene Misere (durch die sich Preiserhöhungen prima rechtfertigen lassen) bei jenen zu suchen, die das eigene Produkt aus religiösen, weltanschaulichen oder gesundheitlichen Gründen nicht konsumieren können oder wollen. Dann gehen Milchbauern auf Lactose-Intoleranzler los, Burgerbrater auf Vegetarier, BH-Hersteller auf Männer. Eine Horrorvorstellung. Auf den Schrecken werde ich mit meinem Kumpel Serkan heute erstmal was trinken gehen. Er bestellt sich wie immer ein Bier, ich nehme eine Cola.
Timo Lokoschat
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