BLLV-Präsidentin Fleischmann: "Bei Piazolo brennt es lichterloh"

München - Öfter als es ihr lieb war, saß sie am Krisentisch, mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusminister Michael Piazolo (FW). Simone Fleischmann, Mittelschullehrerin aus Berufung, spricht für die Lehrkräfte aus ganz Bayern. Davor leitete sie zwölf Jahre eine Münchner Hauptschule - mit viel Power und Herzblut für ihre Schüler. Seit 2015 setzt Fleischmann als BLLV-Präsidentin alles daran, dass das System Schule gut funktioniert.
Ihre Forderung an die Politik: ein Fünf-Jahres-Plan, als "Bildungspolitisches Logbuch", das diverse Corona-Szenarien durchspielt - und endlich den rechtlichen Rahmen klärt: "Was mache ich in der Schule mit einem Kind, das die Maske nicht tragen will? Was machen Lehrer, wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler weigert, sich in der Schule testen zu lassen?", so Simone Fleischmann.
AZ: Frau Fleischmann, Sie sind die bekannteste Lehrerin Münchens. Die Stadt tauschen Sie jetzt drei Wochen gegen ein Sommerhaus in Schweden.
SIMONE FLEISCHMANN: Dort am Meer suchen mein Lebensgefährte und ich die Freiheit der Gedanken und die Leichtigkeit des Lebens. Schweden assoziiere ich mit Langsamkeit, Reflexion und Ruhe. Wir gehen angeln, ich sonne mich - oder wir reiten aus. Das ist für mich wahres Glück: Auf dem Rücken der Pferde spürst du, was Freiheit sein kann.
Wie Ferien-reif fühlen Sie sich denn?
Mein Kopf, Herz und Körper brauchen eine Pause. Der Geist benötigt eine Zeit ohne Corona-Krisenmodus - und ohne diese Fragen: Warum kann ich nicht mehr leben, wie ich lebte? Zu tun, was mir guttut, war in letzter Zeit nicht immer möglich - wie natürlich für viele andere Menschen auch.
Sie gönnen sich eine Woche handyfrei.
Das muss drin sein! Diese Woche markiere ich in meinem Kalender. Sieben Tage ohne E-Mail checken und ohne minütliche Erreichbarkeit. Mein ganzes Leben tickt nach dem Handy. Da ist alles drin. Nichts habe ich so oft in der Hand.
"Markus Söder hat klar im Blick, was die Bevölkerung hören will"
Sie fordern: Die Politik muss einen Plan für die nächsten fünf Schuljahre liefern. Sie möchten, dass der Lern- und Leistungsbegriff neu definiert wird.
Welche Corona-Szenarien könnten im September eintreten? Das muss das Kultusministerium jetzt aufschreiben. Wir Lehrer brauchen dieses Navigationssystem für die Langstrecke, damit Lernen gelingen kann.
Wie haben Sie Kultusminister Michael Piazolo in der Krisenzeit erlebt?
Der Minister ist ein sehr intelligenter Realpolitiker, der ob der Mehrheiten in der Koalition weiß und für viele Forderungen ein offenes Ohr hat.
Und wie denken Sie über Markus Söder?
Er ist ein Ministerpräsident, der ganz klar im Blick hat, was die Bevölkerung hören will. Und er hat genaue Vorstellungen davon, wie er Politik machen will.
Mangelnde Digitalisierung, verstaubte Strukturen: Corona hat auch die Probleme mit der Bildungsgerechtigkeit wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Wer ist aktuell emotional erschöpfter: Schüler oder Lehrer?
Die Kinder brauchen die Sommerferien als Auszeit mindestens genauso wie die Lehrer - sonst schaffen wir nicht mal den September. Wichtig ist eine Phase der Sicherheit bei den Kontakten. Mal raus aus diesem Stresssystem Schule - das ist diese Sommerferien wichtiger denn je.
Sie nennen das Corona-Jahr "eine abnormale Zeit"...
Die Lehrerinnen und Lehrer haben Immenses geleistet. Sie haben maximal viel gegeben. Ich hatte den Eindruck, ich musste politisch korrekt unterwegs sein, durfte nicht zu viel sagen. Doch die Lehrerinnen und Lehrer haben das System aufrechterhalten, trotz Angst vor einer Ansteckung durch die Kinder. Und trotz einer großen Angst um die Kinder. Stellen Sie sich vor, es hätte in Bayern Hunderte Schüler gegeben, die wegen Corona ins Krankenhaus gekommen wären. Noch nie hat uns Schule so viel Kraft gekostet: Masken, Abstand, Hände waschen sind eigentlich gar nicht unsere Aufgaben. Was für ein Stress, was für eine Unsicherheit. Lehrer im Klassenzimmer haben auch keine Plexiglasscheibe vor sich.
Lehrkräfte haben Gefühle von Ohnmacht und Ausweglosigkeit beschrieben...
In einer Realschule ist eine Fachlehrerin für Werken beispielsweise durchaus in bis zu 16 Klassen unterwegs. Bei einer Gymnasiallehrerin für Deutsch und Sport können es durchaus bis zu 300 Kinder sein, die sie unterrichtet. Die Menge an Kontakten, denen Lehrer ausgesetzt waren, haben die Medien kaum transportiert. Doch damit das klar ist: Wir Lehrer wollen Präsenzunterricht - also Schule live: aber sicher! Und wir Lehrer wollen uns impfen lassen - und zwar fast alle.
"Wir Lehrer haben vor Ort die Prügel von den Eltern abgekriegt"
Sie erwarten von der Regierung sichere Schulen. Mit Luftreinigern?
Aus der Diskussion, was die bringen, halte ich mich heraus. Ich erwarte, dass am Technologie-Standort Deutschland die Politik herausfindet, was State of the Art ist, und eine klare Marschrichtung vorgibt. Wir haben an den Schulen die ganze Zeit umgesetzt, was die Politik wollte. Vieles davon haben wir nicht verstanden. Denn die Politik entscheidet über die pädagogische Expertise hinweg - und über die Erfahrungen der Lehrer vor Ort. So geschehen bei der Testpflicht im Klassenzimmer, bei der ich skeptisch war.
Sie sehen das Handeln der Politik also kritisch?
Tatsächlich frage ich mich: Wie sehr hört Herr Söder auf die Stiko oder wie sehr beeinflusst er die Aussagen der Stiko durch einen immensen politischen Druck? Ich habe bemerkt, dass alle Länder irgendwie anders entscheiden und Bayern besonders scharf.
Zum Stichwort ungeliebtes Home-Schooling: "Wir Lehrer und Schulleiter standen als die Deppen da", empören Sie sich.
Wir haben vor Ort die Prügel von den Eltern abgekriegt. Wenn wir am Freitagnachmittag aus dem Ministerium erfahren: Hubsi, am Montag ist keine Schule in der Schule, sondern Distanzunterricht. Schulleiterinnen und Schulleiter mussten am Wochenende Busunternehmen absagen, Lehrer erreichen und eine Notbetreuung für ihre Schüler aufstellen. Mütter haben sich aufgeregt: Ja geht's noch, die Schule ist zu. Wo soll ich mit meinem Buben hin?
Dem Abizeugnis 2021 hat das Kultusministerium einen Werbeflyer für den Lehrerberuf beigelegt.
Endlich gibt das Kultusministerium den Lehrermangel zu, prima! Der Engpass wird angegangen. Auch an Bushäuschen hängt Werbung fürs Lehramt. Diese Kampagne sagt uns: Im Kultusministerium brennt es lichterloh. Sie vermissen professionelles Personal. Jetzt versucht man, den Lehrermangel mit Nicht-Lehrern zu stopfen.
Der Numerus Clausus für das Grundschullehramt ist im kommenden Wintersemester an den Universitäten gefallen...
Das war keine gute Idee, finde ich. Denn jetzt wechseln viele Studierende für Mittelschule zum Grundschullehramt. Und der gebeutelten Mittelschule fehlen dann die Experten für pubertierende Achtklässler. Ich bin eine berufsbegeisterte Pädagogin für Mittelschüler. Ich wollte diese Kinder immer unterrichten - und zwar genau sie. Wenn das Ministerium dem Lehrermangel hätte entgegenwirken wollen, hätte es schon lange alle Lehrer gleich besolden sollen. Dann hätten wir mehr Lehrer an der Mittelschule.
Lehrer gehören zu den Burn-Out-gefährdeten Berufen. Gibt es aktuelle Zahlen aus der Lockdown-Zeit?
Eines ist sicher, solche Zahlen wird es nie geben. Die vermeidet das Ministerium. Manche Lehrerinnen und Lehrer haben in der Krise alles gegeben, mehr noch als alles, und sind dabei über ihre Kräfte hinausgegangen. Schulleiterinnen und Schulleiter waren die Retter der Nation. Leider lassen sich jetzt einige entpflichten und möchten lieber wieder als normaler Lehrer, als normale Lehrerin arbeiten: Denn sie sagen, sie schaffen das nicht mehr.
"Alle Lernlücken zu schließen, das wird Jahre dauern"
Einige Schulen bieten in den Sommerferien beispielsweise in der ersten und letzten Ferienwoche einen Vormittag Englisch, Französisch oder Mathe für Schüler mit Nachholbedarf. "Brückenbauen" heißt dieses neue Sommerschule-Programm, das Lernlücken schließen helfen soll.
Per Knopfdruck lassen sich keine Lernlücken schließen. Das wird Jahre dauern. Wir haben das Brückenbauen-Programm schonungslos analysiert. Als Verlautbarung des Kultusministeriums ist es exzellent - alles tipi-topi. Für uns ist es fraglich, ob es etwas bringt. Das sagen wir auch den Eltern. Für mich wirkt es wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Vielleicht ist es doch besser, zur Oma in die Schweiz zu fahren oder ins Fußballcamp, als für einen Vormittag Französisch in der Stadt zu bleiben. Auch gut: Man paukt einmal Englisch mit einem Nicht-Lehrer.
Was wünschen Sie sich zum Anfang des Schuljahres im September?
Schule live - aber sicher - und mehr Anerkennung! Wir Lehrerinnen und Lehrer sind so transparent und gläsern geworden. Eltern, Tanten und Opas haben im Wohnzimmer den Distanz-Unterricht live mitbekommen. Viele haben uns Respekt gezollt und sich bedankt. Wir Lehrer wollen gewertschätzt werden, so ähnlich wie in Finnland: als Kerzen der Gesellschaft. Darum geht es uns eigentlich.