Blaues Auge im Heim: Was passierte mit Oma Leni?
Die Alzheimer-Patientin ist pflegebedürftig und lebt in einem Heim.
München - Rot bis dunkelrot, an manchen Stellen fast blau. Phase 2 des Hämatoms: Das Blut im Gewebe rund ums Auge gerinnt und hinterlässt eine immer dunklere Farbe, die später zu Braun und Gelb wechseln wird. Veilchen nennt man das im Volksmund. Angela S. nennt es Körperverletzung.
Mit einem Bluterguss am linken Auge und einer Platzwunde an der Stirn liegt der Kopf ihrer Mutter auf dem Kissen. Dunkle Stellen in der Haut, jede einzelne ein Stich ins Herz von Angela S.
Ihre Mutter Magdalena (78) – verletzt und verbeult im Pflegeheim. Was ist nur mit „Oma Leni“ passiert? Seit Februar 2009 liegt die Frau mit Alzheimer-Demenz im Heim an der Stösserstraße. Als im Juli 2008 ihr Mann Alois stirbt, wütet die Krankheit plötzlich stärker im Kopf der alten Frau. Angela S. und ihre Schwester pflegen sie noch einige Monate zuhause. Bis es nicht mehr geht.
Eine Bekannte empfiehlt der Verwaltungsangestellten das Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Anfangs, als sie noch Pflegestufe I und II hatte, haben sie sich toll um sie gekümmert.“ Dann wird die Demenz stärker, Magdalena S. wird auf die Station I im 1. Stock verlegt. Pflegestufe III – der Horror beginnt.
Anfang November 2010 entdeckt Angela S. die erste Platzwunde am Kopf ihrer Mutter. Der Pfleger des AWO-Dorfs im Hasenbergl sagt ihr an diesem Tag, sie habe sich am Nachtkästchen gestoßen. Wie sich schnell herausstellt, ist es etwas anders gelaufen. Zwei Pfleger wollten Magdalena S. von einem Sitz auf die Toilette heben, verloren den Halt – Oma Lena knallte mit dem Kopf gegen einen Schrank. AWO-Geschäftsführer Jürgen Salzhuber bestätigt das gegenüber der AZ.
Anfang März: zweite Platzwunde. Und das blaue Auge. Die Nachtschwester ruft Angela S. an und meldet, dass Oma Leni aus ihrem Bett auf den Boden gefallen sei. „Sie sah fürchterlich aus“, sagt die 41-Jährige. An die Version der Schwester glaubt sie nicht. „Meine Mutter kann sich nicht bewegen, nicht umdrehen und nicht einmal ein Bein über das andere legen!“ Sie glaubt: „Ein Pfleger hat sie aus dem Bett fallen lassen!“ Es wäre ja nicht das erste Mal.
Antworten? Erklärungen? Gab’s nicht, sagt Angela S. „Ich wollte mit der Schwester und mit dem Heimleiter sprechen. Keiner wollte mit mir reden.“ Ende April kündigt Angela S. den Heimplatz zum 1. Mai schriftlich: „Aufgrund mehrerer Missstände in der Pflege und Betreuung meiner Mutter (...), bei denen grob fahrlässig mit meiner Mutter umgegangen wurde, ist es für mich nicht mehr verantwortbar, meine Mutter in Ihrer Einrichtung zu belassen.“ Angela S. schreibt auch einen zweiten Brief, diesmal an die Staatsanwaltschaft, und erstattet Anzeige gegen den Heimleiter wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Die Vorwürfe, man habe die Tochter nicht informiert, weist AWO-Geschäftsführer Jürgen Salzhuber zurück: „Im ersten Fall hat sich die Stationsleitung entschuldigt“, so Salzhuber. Der Unfall sei dokumentiert worden. „Im zweiten wurde der Arzt gerufen und die Heimaufsicht informiert.“ Die AWO bedaure die Verletzungen, könne aber zum zweiten Fall keine näheren Angaben machen. Salzhuber: „Stürze kommen hin und wieder vor.“
Da muss ihm Pflege-Experte Claus Fussek leider recht geben: Magdalena S. sei „kein Einzelfall“. In vielen Heimen seien Pflegekräfte total überlastet. Der Stress führe zu Unfällen, und manchmal sogar zu Gewalt: Schläge, Tritte, Schreie und Beleidigungen. Das AWO-Heim gelte zwar als gut, doch seien hier „offensichtlich schwere Mängel passiert“, sagt Fussek. Angela S. könne erwarten, dass ihre Mutter gut versorgt werde. „Dazu zählt, dass ihr nichts passiert.“ Fusseks Fazit: „Das Heim hat versagt.“
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