"Biss"-Verkäufer: Herr Adamec (80) steht immer da

Seit 25 Jahren verkauft Tibor Adamec am Marienplatz die Straßenzeitschrift "Biss". Aufhören kommt für den 80-Jährigen noch nicht in Frage.
Anja Perkuhn |
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Ein Ständchen für den Jubilar: Tibor Adamec (l.) ist mit seinen 80 Jahren der älteste "Biss"-Verkäufer.
Daniel von Loeper Ein Ständchen für den Jubilar: Tibor Adamec (l.) ist mit seinen 80 Jahren der älteste "Biss"-Verkäufer.

München - Keine Sekunde lang legt Tibor Adamec die aktuelle Ausgabe des "Biss"-Magazins aus der Hand. Nicht, als ein Verkäuferkollege mit der Gitarre das Geburtstagslied "Happy Birthday" anstimmt. Nicht, als Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ihm die andere Hand zur Gratulation schüttelt und ihm erklärt, er sei auch "ein Stück München", denn "Sie stehen hier fast jeden Tag in der Mitte der Stadt".

Nur die Augen des gebürtigen Slowaken werden etwas rot und schimmern feucht. "Das ist schon eine Überraschung, dieser große Aufwand und dass hier so viele Leute sind, weil ich Geburtstag habe", sagt er. 80 Jahre ist er am Dienstag geworden – 25 Jahre davon arbeitet er als Verkäufer der Straßenzeitschrift. Einer der ersten Festangestellten ist er vor 20 Jahren gewesen – die Verkäufernummer 351 auf dem Ausweis, den er an seinen weißen Leinenanzug geklemmt hat, führt da in die Irre.

Hinsetzen während der Arbeit? Das kommt für ihn nicht in Frage

Ebenso die Annahme, er habe sich an diesem Tag extra herausgeputzt. "Er ist der Verkäufer, der am meisten Wert auf sein Erscheinungsbild legt", sagt Margit Roth, Chefredakteurin des Magazins. "Ohne seinen weißen Hut und Anzug habe ich ihn noch nie gesehen."

Und auch sitzend hat ihn noch niemand gesehen, zumindest nicht an seinem Verkäufer-Stammplatz im Zwischengeschoss am Marienplatz. Früher stand er hier ab 9 Uhr, meist für zwölf Stunden, sechs Tage die Woche. Seine Arbeitszeiten haben sich in den vergangenen zehn Jahren zwar etwas verkürzt, aber hinsetzen während der Arbeit? Kommt nicht in Frage. "Für mich ist Sitzen unbequem", sagt er sehr ernsthaft.

Überhaupt wirkt er ernsthaft. Die Münzen, die ihm auch während der kleinen Geburtstagsfeier immer wieder vorbeirauschende Passanten in die Hand drücken und manchmal dafür nicht einmal eine Zeitschrift haben wollen, nimmt er beinahe feierlich entgegen.

Aufrecht, das ist er – physisch und auch sonst. "Er ist sehr zuverlässig und pflichtbewusst", erzählt Karin Lohr, die Geschäftsführerin bei "Biss". Wenn Adamec mal krank ist und ein paar Tage nicht neben der Säule am Aufgang zur Kaufingerstraße steht, rufen Münchner bei "Biss" an und erkundigen sich, was da los sei.

Adamec: "Ich gehöre doch zum Inventar"

Jeden Morgen steht er um 6 Uhr auf, dann geht es los zum Laufen. Seine Laufschuhe halten etwa 5.000 Kilometer – neue Paare bekommt er meist von seinen Stammkunden geschenkt. Oder jetzt zu seinem 80. Geburtstag: in Form eines Gutscheins, überreicht von Bischof Bedford-Strohm. Der spielt etwas später sogar noch selbst ein paar Takte auf der Violine für Adamec, der ergriffen lauscht und schaut.

Ob er sich vorstellen kann, irgendwann einmal mit dem Magazinverkauf aufzuhören? Er schüttelt den Kopf. Natürlich ist es eine finanzielle Frage. Adamec kam vor mehr als 50 Jahren aus Bratislava, der Hauptstadt der heutigen Slowakei, nach Deutschland. Vor 20 Jahren wurde der gelernte Radio-Fernseh-Mechaniker arbeitslos, fand keine Anstellung mehr. Eigentlich ist er seit 15 Jahren in Rente – es kommen aber nur 125 Euro pro Monat zusammen.

Also verkauft er weiter. Aber eben nicht nur wegen des Geldes. "Ich gehöre doch zum Inventar", sagt er. "Ich bin es gewohnt, hier zu stehen und mich zu unterhalten. An Feiertagen werde ich unruhig." Und am Tag nach seinem Geburtstag? "Bin ich hier." Herr Adamec steht immer da.

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