Besetzung im Forst Kasten: Polizei mit 70 Beamten im Einsatz

München - Die Schaukel, die Lisa Poettinger an einen Ast hängen wollte, hat sie um ihre Hüften gebunden. Und die Paletten, aus denen sie und ihre gut 20 Mitstreiter Baumhäuser bauen wollten, liegen auf dem Boden – bedeckt von Matten und Schlafsäcken. Darüber spannen sich Planen. Und ganz oben zwischen den Blättern hängen Plakate. "Wald statt Asphalt" steht da. Und: "Kasti bleibt".
Kasti, so nennen sie Forst Kasten, ein 48 Hektar großer Wald bei Neuried am südwestlichen Stadtrand Münchens. Seit Jahrzehnten lässt die Heilig Geist Stiftung, die in München ein Altenheim betreibt, dort Kies abbauen. Bald soll die Grube aber größer werden: 9,5 Hektar Wald – Umweltschützer gehen von 9.000 Bäumen aus – sollen dafür gefällt werden.
Aktion in Forst Kasten: Umweltaktivisten klettern auf Bäume
Grüne und SPD kündigten bereits an, dass sie die Rodung heute genehmigen werden. Die Umweltaktivisten hoffen, die beiden Parteien doch noch umzustimmen. Dafür schleppten sie aus München und Augsburg Holz und Paletten, Seile und Plakate in den Wald. Dass ihr Camp jedoch anders aussieht als das im Hambacher Forst, wo Aktivisten jahrelang in Baumhäusern lebten, liegt daran, dass nur ein paar Stunden nach ihnen die Polizei eintraf.

Eine Hundertschaft habe die Baumhäuser verboten, verfügte, dass die Planen offenbleiben mussten – trotz Regen und Kälte. Außerdem habe die Feuerwehr über die Nacht hinweg mit Strahlern den Wald ausgeleuchtet, so erzählt es Lisa Poettinger. Sie ist Mitte 20, eine Lehramtsstudentin, die bei "Extinction Rebellion" aktiv ist – eine Gruppe, die mit gewaltfreiem, zivilem Ungehorsam auf den Klimawandel aufmerksam macht. Dazu gehört auch: Wälder besetzen. Sie sei auch im Dannenröder Forst in Hessen gewesen, wo Bäume für eine Autobahn fallen sollen. Aus der Erfahrung heraus habe sie lieber zwei Schlafsäcke mitgebracht, sagt Lisa Poettinger. Auch ein großer Hund habe sie in der Nacht gewärmt.
Ein paar Meter hinter ihr liegen auf einer Palette Bananen, Müsli, Semmeln, neben Öko-Klopapier und Holzbesteck. Eine Bürgerinitiative, die sich seit Jahren für den Walderhalt einsetzt, will später noch Essen vorbeibringen. Eine Mutter aus Pasing, deren Kinder noch zu klein für Waldbesetzungen sind, hat in einem Korb Marmorkuchen mitgebracht.

Aushalten wollen es Lisa Poettinger und die anderen Aktivsten so noch mindestens einen Tag. Denn heute entscheiden Stadträte im Sozialausschuss über die Zukunft des Waldes.
Dass ausgerechnet die Grünen bereits ankündigten, dem Kiesabbau zuzustimmen, ärgert hier manche. Eine junge Frau, die sich als Charly vorstellt, die aber nicht mehr über sich verraten will (außer, dass sie minderjährig ist und dem Antikapitalistischen Klimatreffen angehört), sagt: "Die Grünen fingen als Atomkraftgegner an und reden nun Waldrodungen schön."
Tatsächlich ist die Lage in Forst Kasten kompliziert. Denn die Stiftung, die den Kies dort abbauen lässt, wird von der Stadt München verwaltet. Aufsicht über die Stiftung hat wiederum die Regierung von Oberbayern. Diese kam zum Schluss, dass der Münchner Stadtrat keine Entscheidung treffen dürfe, die für die Stiftung einen finanziellen Schaden bedeuten könnte. Ansonsten machten sie die Stadträte haftbar – und zwar persönlich. In nicht-öffentlichen Sitzungsunterlagen ist von Summen im sechsstelligen Bereich die Rede.
Grüne und SPD verwiesen deshalb immer wieder darauf, dass sie zu der Entscheidung gezwungen würden. Doch daran, dass diese Auffassung stimmt, gibt es inzwischen Zweifel.
Stadtrat Tobias Ruff von der ÖDP beauftragte eine Kanzlei mit der Prüfung des Falls. Diese kommt zu dem Schluss, dass sich die Stadträte nur dann haftbar machen, wenn sie vorsätzlich einen finanziellen Schaden hervorrufen. Dass sie dies durch ein Verbot für eine weitere Kiesgrube tun, bezweifelt Rechtsanwalt Georg Fischer-Brunkow. Denn die langfristigen Folgen, was es in finanzieller Hinsicht bedeutet, Wald in Zeiten des Klimawandels wiederherzustellen, seien nicht genug betrachtet worden.

ÖDP-Stadtrat Ruff wird deshalb gegen den Kiesabbau stimmen. "Dass Grüne und SPD etwas anderes angekündigt haben, ist ein Zeichen von Mutlosigkeit und mangelnder Kreativität".
Diese Meinung teilt Stadtrat Thomas Lechner, der keiner Partei angehört, aber in der Fraktion der Linken sitzt. Er findet: Der Stadtrat sollte es auf einen Prozess ankommen lassen. "Verantwortlich fühle ich mich nur dem Wähler gegenüber", sagt er. Er hoffe, dass dies seine Stadtratskollegen auch so sehen. Einen Versuch starteten SPD und Grüne am Mittwoch, doch noch – "in letzter Minute", wie Anne Hübner (SPD) sagt. Die Parteien verfassten einen Brief an die oberbayerische Regierungspräsidentin mit der Bitte, dass rechtliche Folgen ausbleiben. Denn die Stiftung, so lässt es sich in dem Brief nachlesen, braucht das Geld für den Kiesabbau gar nicht mehr. Das Pflegeheim kann vollständig entgeltfinanziert und komplett saniert werden.