Berichte aus der Nachkriegszeit: Aus dem Trümmerland
München - Die Lebensmittel sind knapp. Eine Hungersnot droht. Hoffentlich bringen die Münchner Landgemeinden Kartoffeln und Milch! Doch die Preise steigen und steigen, Wucherer treiben ihr Unwesen - und das treibt Kardinal Faulhaber um, am 10. Mai 1945, zwei Tage nach dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, gestern vor 77 Jahren.
Schreiben wie das Hirtenwort, in dem er die Notlage der Menschen schildert und sich hilfesuchend an die Landgemeinden der Erz-
diözese München und Freising wendet, sind Bestandteil der 2005 in Buchform erschienenen "Kriegs- und Einmarschberichte" von Geistlichen des Erzbistums. Da das Buch schon lange vergriffen, die Nachfrage nach den Berichten aber weiter sehr hoch sei, habe man nun sämtliche Texte online veröffentlicht, teilte das Erzbistum mit.
Bei Auswertung muss Blickwinkel der Berichterstatter berücksichtigt werden
Es war der Münchner Generalvikar Ferdinand Buchwieser, der am 7. Juni 1945 alle Seelsorgestellen aufforderte, über die Kriegsereignisse und das Kriegsende in der jeweiligen Pfarrei zu berichten.
"Sie beruhen größtenteils auf eigenem Erleben der Geistlichen und wurden sehr bald nach den Ereignissen niedergeschrieben, auch wenn man bei der Auswertung natürlich stets den subjektiven Blickwinkel der einzelnen Berichterstatter berücksichtigen muss", schreibt das Erzbistum. Sie seien "einer der wichtigsten Quellenbestände zum Ende des Zweiten Weltkrieges im südlichen Bayern".
Die Texte schildern furchtbares Leid, oft in einem nüchternen Ton. Schrecken und Alltagssorgen stehen nebeneinander. Domvikar Friedrich Frei berichtet von Erlebnissen in Moosburg: "Vergewaltigungen - eine ganze Anzahl von Frauen und Mädchen haben sich trotz vorgehaltener Schußwaffe standhaft gewehrt und so ihre Frauenehre gerettet." Über eine Visite in Geisenhausen heißt es: "Der aufgestöberte Meßwein war restlos konsumiert und der Radio fort; sonst fehlte nichts."
Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner
Stadtpfarrer Emil Muhler von St. Andreas in München hat bereits drei Monate nach Kriegsende zum Einmarsch der Amerikaner nur festzuhalten: "ohne Erinnerung". "Namenloses Elend" hat Stadtpfarrvikar Constantin Freytag von St. Antonius im Krieg gesehen. Er erzählt von einem schwerkranken Mann, "total fliegergeschädigt", der meinte: "Jetzt wäre es das Beste, ins Wasser zu gehen."
Ausführlich schildert Johann Baptist Hartmann von der Universitäts-Frauenklinik die Ereignisse des Krieges, auch die eigenen materiellen Verluste nach einem Luftangriff im April 1944 werden in einem tragikomischen Kommentar erwähnt: "Der gute Diwan, frisch hergerichtet, verbrannte völlig, ebenso der Radio (Blaupunkt)." Pfarrer Otto Breiter von St. Sebastian schreibt von einem Angriff im Dezember 1944, bei dem "14 Personen, darunter 8 Katholiken" getötet worden seien. Johann Baptist Staffler von der Pfarrei Aschheim berichtet von abgestürzten feindlichen Fliegern, fünf Engländer, "die aber so sehr verstümmelt waren, daß sie ein Papiersack fassen konnte. Verschiedentlich hat man sich auf das unmenschlichste über diese Toten geäußert".
Aus Dachau schildert Pfarrer Friedrich Pfanzelt die Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner. "Ein Bild des Grauens" habe sich geboten, aber "kein Mensch" habe in Dachau von den Gräueln gewusst. Die oft detaillierten Berichte, so schreibt das Erzbistum, dienen bis heute Schulen zur Forschung und als Hilfe beim Aufspüren von Blindgängern.
Die Texte sind zu finden unter: www.erzbistum-muenchen.de
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