Interview

Beerdigungen in Corona-Zeiten: "Beisetzung per Livestream"

Seit der Pandemie ist bei Beerdigungen vieles verboten. Dafür stehen am Friedhof nun Kühlcontainer, TV-Bildschirme oder auch mal ein Testzelt.
von  Nina Job
Eine stille Szene am Westfriedhof. Für Beerdigungen während der Pandemie gelten viele neue Regeln. Hinterbliebene und Bestatter müssen sich darauf einstellen.
Eine stille Szene am Westfriedhof. Für Beerdigungen während der Pandemie gelten viele neue Regeln. Hinterbliebene und Bestatter müssen sich darauf einstellen. © Sven Hoppe/dpa

München - Corona hat den Umgang mit dem Tod verändert. Plötzlich sind jahrhundertealte Rituale des Abschiednehmens nicht mehr erlaubt. Wie das Aufbahren, Trauern im großen Kreis oder "die Leich", wie man in Bayern zum gemeinsamen Essen nach der Beerdigung sagt. Was macht das mit den Menschen? Die AZ hat Karl Albert Denk (39) gefragt. Er ist in fünfter Generation Bestatter und stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Bestatterverbandes.

Karl Albert Denk: "Ich war zu jung"

Sein Vater Karl († 2020) hatte das Familienunternehmen Trauerhilfe Denk zu einem der größten Bestattungsunternehmen Deutschlands gemacht. 2003 wurde es verkauft, Sohn Karl Albert wollte es damals nicht übernehmen. "Ich war zu jung für diese große Aufgabe", sagt er. Stattdessen hat er eine eigene Bestattungsfirma gegründet mit heute 22 Mitarbeitern und fünf Filialen in München, Grünwald, Erding, Freising und Neufahrn. Etwa 650 Bestattungen führt er im Jahr durch.

AZ: Herr Denk, haben Sie seit der Pandemie deutlich mehr zu tun?
KARL ALBERT DENK: Eigentlich sind wir seit Frühjahr 2020 durchgehend im Stress. Erst vor ein paar Tagen habe ich wieder eine Statistik gelesen, nach der wir in Bayern im vorigen Jahr eine acht Prozent höhere Sterberate hatten. Es ist nicht nur die höhere Zahl der Verstorbenen, viele Abholungen dauern einfach deutlich länger.

Denk: "Der Eigenschutz dauert am längsten"

Was genau dauert länger?
Früher hatten wir maximal einen Verstorbenen in der Woche, bei dem der Verdacht bestand, dass er infektiös ist. Jetzt haben wir jeden Tag einen - oft auch zwei oder drei. Die Abholung von Corona-Verstorbenen dauert mindestens doppelt so lang.

Was ist anders im Umgang mit Corona-Toten?
Die meiste Zeit nimmt der Eigenschutz in Anspruch. Wir müssen einen Schutzanzug tragen, der auch über den Kopf geht, Brille, Glasschild, Handschuhe. Und sowieso FFP2- oder FFP3-Maske tragen.

Hat sich schon mal ein Bestatter an einem Corona-Toten angesteckt?
Mir ist kein einziger Fall bekannt.

Denk: "Hunderte Menschen nahmen per Livestream teil"

Wenn Sie an die vergangenen zwei Jahre denken, gab es da eine Bestattung, die Ihnen besonders nahegegangen ist?
Ja, Anfang des Jahres ist ein Mann, der etwa Mitte fünfzig war, an Corona gestorben. Seine Familie lebt in Brasilien. Sie konnte wegen der Auflagen nicht kommen. Man unterschätzt das, wie schlimm es ist für Angehörige, wenn sie bei dem letzten Geleit nicht dabei sein dürfen. Wir haben dann ermöglicht, dass die Familie, Freunde und Bekannte die Beisetzung per Livestream verfolgen konnten. Es war überwältigend! Hunderte Menschen haben zugeschaut. Der emotionalste Moment war, als sich die Mutter in Brasilien von ihrem Sohn im Sarg in München verabschiedet hat.

Gibt es solche Liveübertragungen vom Friedhof nun öfters?
Ja, wir haben das in unser Repertoire aufgenommen. Ein befreundeter Künstler, der Bands betreut und seit Corona keine Aufträge mehr hat, stellt das technische Equipment. Wir haben auch schon TV-Bildschirme auf dem Ostfriedhof aufgebaut, weil wegen der Beschränkungen nicht alle hineindurften.

Denk: "Wir müssen bei aller Gesetzgebung noch Menschen bleiben"

Zeitweise durfte ja nur der engste Familienkreis am Grab Abschied nehmen. Was bedeutet das für diejenigen, die nicht kommen dürfen?
Jemandem die letzte Ehre erteilen zu können, ist sehr, sehr wichtig für die Trauerarbeit. Ich erlebe es häufig, wie sehr und wie lange es Angehörige belastet, wenn sie das nicht konnten. Sehr schlimm war jetzt wieder die Phase im Herbst, als die Krankenhäuser erneut abgeriegelt wurden und die Angehörigen nicht mehr zu den Sterbenden konnten. Da bleibt überhaupt keine Zeit Abschied zu nehmen. Die Hygienebestimmungen sind wichtig, aber wir müssen bei aller Gesetzgebung noch Menschen bleiben.

Karl Albert Denk mit seinen Ahnen, alle waren Bestatter.
Karl Albert Denk mit seinen Ahnen, alle waren Bestatter. © K.A. Denk

Und am Grab standen die Hinterbliebenen dann auch fast allein. Zeitweise durften nur maximal zehn Personen bei der Beisetzung dabei sein - mit Maske und Abstand.
Das war sehr hart für viele Familien. Es ist einfach etwas anderes, wenn man auf dem Friedhof 50 Leute im Rücken hat. Das baut auf, gibt Kraft. Als die Gastro Anfang 2020 geschlossen hatte, wussten die Leute auch gar nicht, wohin nach der Beisetzung. Da kamen Angehörige aus Norddeutschland angereist und standen dann da ... Das Trauermahl ist eines der schönsten Rituale. Das war monatelang nicht möglich. Dabei haben wir sogar mal extra ein Zelt vor einer Kirche aufgebaut, in dem sich Angehörige und Freunde testen lassen konnten vor der Trauerfeier.

Denk: "Kurzfristige Änderungen sind eine Zumutung"

Die Regeln haben sich oft und meist extrem kurzfristig geändert.
Ja. Wenn Sie eine Beerdigung für - sagen wir Montag - ansetzen und dann gelten schon wieder ganz andere Regeln, ist das eine Zumutung für alle. Die kommunalen Behörden haben zum Teil auch noch eigene, schärfere Regeln erlassen als empfohlen. Aber ich sehe das so, dass sie auch den Auftrag haben, einen würdigen Abschied zu ermöglichen. Dieser Flickenteppich muss vereinheitlicht werden.

Gibt es Corona-Auflagen im Bestattungswesen, die Sie für komplett unsinnig halten?
Schon seit Anfang des Jahres dürfen alle Verstorbenen nicht mehr in ihrer eigenen Kleidung beigesetzt werden. Was soll denn da passieren, wenn ein Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist? Das ist eine unsinnige Regel. Und wegen Corona gibt es keine Abschiede mehr am offenen Sarg. Das ist ganz klar geregelt. Ich kann nicht nachvollziehen, warum das bei nichtinfizierten Verstorbenen nicht möglich sein soll.

Denk: "Für uns ist Corona ein Negativbooster"

Bereitet Ihnen Omikron Sorgen?
Das Problem scheint ja die deutlich höhere Ansteckungsquote zu sein. Ich mache mir dabei weniger Sorgen um meine Mitarbeiter und mich - wir haben alle vollen Impfschutz - als um die Ausfälle. Künftig werden wir wieder in kleinen Teams arbeiten und den Kontakt untereinander reduzieren. Die Bestatter dürfen dann zum Beispiel keinen Kontakt zu den Fahrern haben oder zum Personal im Büro. Im Herbst hat es uns schon mal heftig getroffen.

Was war da?
Es gab wieder mehr Corona-Todesfälle und von uns hatten einige Grippesymptome und mussten zu Hause bleiben. Ich auch. Das war sehr schwierig. Corona ist für uns sozusagen ein Negativbooster.

In Bergamo oder New York gab es zeitweise so viele Tote, dass man kaum mehr wusste, wohin mit ihnen. Gab es im Verborgenen bei uns vergleichbare Situationen?
In Traunstein gab es im letzten Jahr die Situation, dass das Krematorium übervoll war. Der Leiter hat angekündigt, dass er die Eissporthalle anmieten muss. Dazu kam es dann aber nicht. Das Problem war, dass die Bearbeitung der Sterbepapiere zu lange gedauert hat.

Denk: "Traurig, dass man so unterscheidet zwischen Generationen"

Gibt es für den Fall, dass sehr viele Menschen in kurzer Zeit sterben, Orte, wo die Toten aufbewahrt werden können?
Davon gehe ich aus. Aber ich weiß nicht, wo sie sind. Wir Bestatter wurden in die Katastrophenschutzplanung nicht einbezogen. Die Pläne liegen irgendwo in einer Schublade. Wir haben aber grundsätzlich mehr Kühlplätze als zum Beispiel die Italiener - unter anderem in den Kliniken, den Krematorien und bei den Bestattern. Außerdem hat die Stadt Kühlcontainer angemietet für die Friedhöfe. Die wurden bislang aber kaum genutzt.

Wenn die Pandemie mal überstanden ist, was denken Sie, wie man der Toten gedenken wird?
Ich fürchte, dass es keine kollektive Wahrnehmung für die Corona-Toten geben wird. Durch die täglichen Zahlen und Statistiken stumpft man ab. Und denken Sie mal, wie leicht und beschwingt sich der Sommer angefühlt hat. Was vorher gewesen war, war schon fast vergessen. Als dann der Herbst kam, fühlte es sich an, als würde man bei voller Fahrt abrupt abbremsen. Ich denke an die Menschen, die Kriege erlebt haben wie meine Tante. Was die alles mitgemacht haben. Aber das ist alles weit weg. Das Gehirn löscht oder verdrängt Dinge, die unangenehm sind. Dabei steht hinter jeder Corona-Zahl ein Einzelschicksal. Ich finde es auch sehr traurig, dass man da so unterscheidet zwischen Jüngeren und Älteren. Dabei wird leicht übersehen, dass auch ein älterer Mensch ohne Corona in den meisten Fällen noch einige Jahre hätte leben können.

Denk: "Das Leben kann schnell vorbei sein"

Für Sie ist der Tod jeden Tag gegenwärtig. Gibt es trotzdem etwas, das sich seit der Pandemie geändert hat an Ihrer persönlichen Einstellung zum Leben?
Auf jeden Fall. Als Bestatter ist einem schon sehr bewusst, dass das Leben schnell beendet sein kann; dass man von einem Moment auf den anderen mitten aus dem Leben gerissen werden kann. Aber seit der Pandemie denke ich schon noch viel mehr darüber nach, warum ich dieses oder jenes nicht gemacht habe.

Was zum Beispiel?
Ich wollte schon seit längerem in die USA reisen. Als Kind habe ich dort sehr schöne Erfahrungen gemacht, ich wollte meinen Kindern das Land zeigen. In Zukunft möchte ich solche Vorhaben auf jeden Fall nicht mehr auf die lange Bank schieben.

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