Bahnhofsviertel: "Wo München wirklich Weltstadt ist"

Das Bahnhofsviertel verändert sich. Das birgt Möglichkeiten, aber auch Risiken. BA-Chef Benoît Blaser hofft, dass das Viertel seine Besonderheiten erhalten kann
AZ |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Hier geht’s meistens ziemlich zu: Dichter Verkehr in der Landwehrstraße, die auch eine tolle Sichtachse auf die St.-Pauls-Kirche ist. Mit verschiedenen Hotels, jeder Menge Einzelhandel, Bars und Restaurants ist sie eine der Hauptachsen des südlichen Bahnhofsviertels.
Hier geht’s meistens ziemlich zu: Dichter Verkehr in der Landwehrstraße, die auch eine tolle Sichtachse auf die St.-Pauls-Kirche ist. Mit verschiedenen Hotels, jeder Menge Einzelhandel, Bars und Restaurants ist sie eine der Hauptachsen des südlichen Bahnhofsviertels. © Imago/Wolfgang Maria Weber

"Wo München wirklich Weltstadt ist", titelte schon Reporterlegende Karl Stankiewitz in seinem Buch übers Bahnhofsviertel. Auch wenn dieses mittlerweile zehn Jahre alt ist – rund um den Hauptbahnhof, zwischen Sonnen-, Pettenkoferstraße und dem Bavariaring ist München lauter, diverser, bunter und auch spröder als anderswo. Urbaner möchten viele sagen.

So etwas weckt in der teuersten Stadt der Republik natürlich Begehrlichkeiten. Quer durchs Viertel sprießen zwischen Dönerläden, Import-Export-Geschäften und Spielhallen in den letzten Jahren immer mehr Edel-Immobilienprojekte aus dem Boden. Oft sind es große Büroprojekte mit ausgefallenen Namen wie The Verse (ehem. Postbank-Gebäude an der Bayer-, Paul-Heyse- und Schwanthalerstraße) oder The Stack (Landwehrstraße), aber auch schicke Wohngebäude – gerne mit möbliertem Wohnen auf Zeit und dann besonders teuer – die dann Theatersuiten (Schwanthalerstraße) oder einfach Paul7 (St.-Paul-Straße) heißen. Und zumindest der Randbereich des Bahnhofsviertels wird dann auch mal einfach umbenannt, etwa in "Wiesnviertel".

München: "Das Bahnhofsviertel ist besser als sein Ruf"

Dabei bräuchte es das gar nicht, denn "das Bahnhofsviertel ist besser als sein Ruf", findet etwa der örtliche Bezirksausschuss-Chef Benoît Blaser (Grüne). Er ist seit 2014 Mitglied im BA und seit 2020 dessen Vorsitzender. "Das Bahnhofsviertel", so Blaser, "ist ein spannendes Viertel". Und eines, das sich stetig verändert. Wobei diese Veränderung "eine Gratwanderung" sei, so Blaser.

Eine Straßenszene aus der Goethestraße von 1989. Damals war das Viertel noch hauptsächlich türkisch geprägt.
Eine Straßenszene aus der Goethestraße von 1989. Damals war das Viertel noch hauptsächlich türkisch geprägt. © Stadtarchiv München

Der BA-Chef ist selbst gerne im Viertel unterwegs, kauft Baklava und Fladenbrot, direkt frisch aus dem Ofen am Straßenverkauf. Auch nachts habe er hier keine Angst, nach Hause zu gehen, so Blaser. "Mir ist aber klar, dass ich als Mann da vielleicht leichter reden habe, und Frauen das vielleicht anders empfinden." Das Thema Sicherheit sei natürlich eines der wichtigen Themen beim Bahnhofsviertel und immer auch "eine Frage der gefühlten Sicherheit", so Blaser.

Verdrängungseffekte aus dem Alten Botanischen Garten

Zuletzt habe es etwa Verdrängungseffekte aus dem Alten Botanischen Garten ins südliche Bahnhofsviertel gegeben. Das habe die Polizei mit ihrer neuen Videoüberwachung aber gut im Griff, so Blaser. Es gebe im Viertel nun mal viele soziale Einrichtungen, die sehr gute und wichtige Arbeiten machen, und dementsprechend seien Obdachlose oder auch Suchtkranke hier einfach sichtbarer als vielleicht anderswo. "Laut den Zahlen der Polizei ist die Sicherheitslage im Bahnhofsviertel besser geworden", die Kriminalität gesunken, so Blaser.

Weitere Themen, die den BA im Bahnhofsviertel besonders beschäftigen, sind der Verkehr und die Frage nach dem Stadtgrün. "Wir versuchen seit Jahren, mehr Begrünung zu schaffen", so Blaser. Gerade um die großen Achsen, wie die Schwanthalerstraße, sei das Viertel arg versiegelt, gebe es kaum Grün. "Das führt immer mehr dazu, dass es sich dort sehr aufheizt."

Und der Verkehr? "Wir haben sehr viel Verkehr aller Arten" so Blaser. Um diese Herausforderung zu lösen, traut man sich hier auch an Neues. "An der Kreuzung Goethestraße und Landwehrstraße haben wir eine "Shibuya-artige" Ampelschaltung eingerichtet." Nach dem Vorbild der berühmten Kreuzung in Tokio bekommen hier Fußgänger aller Richtungen gleichzeitig Grün, allerdings nur bei jeder zweiten Ampelschaltung, erklärt der BA-Chef.

Auch das gehört zum Bahnhofsviertel: Die Spielhalle Las Vegas City in der Bayerstraße. Sie war einst die größte Spielhalle in Europa.
Auch das gehört zum Bahnhofsviertel: Die Spielhalle Las Vegas City in der Bayerstraße. Sie war einst die größte Spielhalle in Europa. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Firmen profitieren von der zentralen Lage

Am prägendsten für die Entwicklung des Viertels ist aber münchentypisch das Thema Immobilien. Ob Büros oder Wohnungen, hier profitiere das Bahnhofsviertel von seiner zentralen Lage, so Blaser. "Nach Corona wollen die Unternehmen die Leute wieder in die Büros kriegen, da muss man etwas bieten, und da hilft die zentrale Lage. Die Firmen investieren hier."

Ärgerlich seien die vielen Bau-Brachen, wie der Karstadt, der leere Kaufhof oder die Baugrube des abgerissenen Parkhauses in der Adolf-Kolping-Straße. Beim Wohnen würden leider sehr oft sogenannte Boardinghäuser geschaffen. "Diese Entwicklung muss man im Auge behalten", so der BA-Chef. "Wir hätten natürlich gerne mehr normale, bezahlbare Wohnungen." Doch der Einfluss der Stadt sei begrenzt, das Areal etwa kein Erhaltungssatzungsgebiet und bei Gewerbe habe man ohnehin kaum Möglichkeiten einzugreifen.

Aufwertung hin zum teuren Pflaster wird kommen

Benoît Blaser ist realistisch: Eine Aufwertung hin zum teureren Pflaster, "das passiert im Bahnhofsviertel genauso, wie man es aus anderen Stadtteilen kennt", sagt er. Und nicht alles daran sei schlecht. "Wegen mir dürfen es zum Beispiel weniger Wettbüros sein", so Blaser. "Neues Publikum, neue Gastronomie", das könne auch "eine Art soziale Kontrolle mit sich bringen". Er betont aber, es dürfe nicht zu Verdrängung führen. "Viele Menschen, leben seit Jahrzehnten und Generationen hier, haben sich hier Existenzen aufgebaut. Gerade auch viele mit Migrationshintergrund", so Blaser. "Die vielen kleinen Läden für internationale Kunden und jene mit kleinem Geldbeutel, das muss erhalten bleiben."

Blaser sagt: "Der Vorsitzende vom Verein südliches Bahnhofsviertel hat mal gesagt, ‘das Viertel ist ein Chancenviertel’ – und das finde ich auch. Es wäre schade, wenn die kulturelle Vielfalt unter dem Wandel leidet. Dann hat man ganz schnell nicht mehr diese ganz besondere Mischung. Es ist ein Balanceakt!"

AZ-Umfrage: Wie finden Sie das Bahnhofsviertel?

Turan Boztepe, Hotelier im Bayer's, München.
Turan Boztepe, Hotelier im Bayer's, München. © Daniel Loeper

Turan Boztepe (60), Hotelier vom Bayer‘s: "Die Leute im Bahnhofsviertel wirken glücklicher als anderswo. Es ist noch mehr Touristengegend und mehr Einkaufszentrum geworden. Seit 40 Jahren bin ich dort."

Ahmet Özdemir, Geschäftsführer im Sultan-Restaurant, München.
Ahmet Özdemir, Geschäftsführer im Sultan-Restaurant, München. © Daniel Loeper

Ahmet Özdemir (40), Sultan-Restaurant-Geschäftsführer Ahmet: "Ich bin zuversichtlich, was das Bahnhofsviertel betrifft. Seit über 25 Jahren bin ich in dieser Gegend. Meine Bitte ist nur, dass es noch zügiger vorangeht."

Karim Qais vom Restaurant-Unic-Fresh.
Karim Qais vom Restaurant-Unic-Fresh. © Daniel Loeper

Karim Qais (27), Restaurant-Unic-Fresh-Chef: "Mir gefällt alles am Bahnhofsviertel. Es gibt einige neue Gebäude. Ich bin seit zwei Jahren in der Gegend."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.