Bahn-Aufseher wegen versuchten Totschlags vor Gericht

MÜNCHEN - 28-Jähriger verliert beide Unterschenkel. Laut Staatsanwaltschaft hätte Bahnsteigaufseher Thomas B. (39) das Unglück verhindern können. Er steht wegen versuchten Totschlags vor Gericht.
Er möchte gerne wieder joggen. Der Traum wird Marine-Offizier Jirko K. (28) wohl noch lange verwehrt bleiben. Beide Unterschenkel wurden ihm von einem Güterzug zermalmt. Die Staatsanwaltschaft meint, dass Bahnsteigaufseher Thomas B. (39) das Unglück hätte verhindern können. Seit gestern steht der Service-Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn wegen versuchten Totschlags vor dem Münchner Schwurgericht.
Es passierte in der Nacht zum 10. April 2008: U-Boot-Offizier hielt sich in München auf, weil er an der Bundeswehrhochschule am Abend zuvor einen Vortrag über U-Boot-Einsätze hielt: „Danach bin ich mit einem Kameraden zur Kulturfabrik.“
Im Club „Willenlos“ tranken sie Rotwein und Wodka-Red-Bull. Gegen 4.40 Uhr verlor Jirko K. seinen Kameraden aus den Augen: „Er ist auf der Tanzfläche verschwunden.“ Jirko K. verließ den Club. An das, was dann passierte, kann sich Jirko K. nicht mehr erinnern.
Fest steht laut Ermittlungen: Der Offizier hatte 1,37 Promille und kletterte aus unerklärlichen Gründen in den Gleisbereich am Ostbahnhof. Ein Passant, der auf seine S-Bahn Richtung Flughafen warten musste, sah ihn und lief zur Aussichtskanzel von Thomas B., sagte: „Da ist jemand auf den Gleisen.“ Laut Anklage stand Thomas B. nur auf, schaute 60 Sekunden in die Richtung, sagte: „Wenn ich nichts sehe, kann ich nichts unternehmen. Die B’suffenen san ja selber schuld, wenn’s überfahren werden.“
Auf Gleis 10 stürzte Jirko K. und war vermutlich bewusstlos. Der Lokführer bemerkte nur einen Schlag, zog sofort die Notbremse. Die Räder hatten die Beine von Jirko K. bereits erfasst. Im Rechts der Isar wurden beide Unterschenkel amputiert. Inzwischen hat Jirko K. Prothesen mit denen er langsam gehen kann. Der Zeitsoldat hat bis zur Entlassung beim Bund einen Bürojob: „Ich habe Staats- und Sozialwissenschaften studiert. Ich möchte an der Uni als Dozent arbeiten.“
Der arbeitslose Angeklagte, er hatte gekündigt, sagte: „Ich sah wirklich niemand. Es kommt vor, dass Leute übers Gleis die Bahnsteige wechseln. Ich dachte, wenn einer auf den Gleisen war, dann ist er schon auf dem anderen Bahnsteig.“ Der Prozess dauert an.
Torsten Huber