AZ -Serie: Was mir wichtig ist: "Neugier auf die Welt"
Der Medienmacher Helmut Markwort über Verantwortung, seinen kickenden Enkel Lenny und dämliches Berater-Denglisch
Von Helmut Markwort
Wer Freiheit nie entbehrt hat, weiß sie nicht zu schätzen. Zu meinem Kummer schätzen sie immer weniger in unserer Gesellschaft. Mir ist Freiheit das Wichtigste. Dazu gehört die Selbstverantwortung, sein Leben zu gestalten und das anderer nicht einzuschränken. Wenn ich in Umfragen lese, dass viele Menschen bei uns an der freiheitlichen Demokratie als Staatsform zweifeln und die soziale Marktwirtschaft ablehnen oder gar die Mauer wieder möchten, erschüttert mich das sehr. Deshalb setze ich mich als Publizist und Journalisten verstärkt für die Freiheit ein, frei nach einem lyrisierten Appell von Johann Gottlieb Fichte: „Handeln sollst Du so, als hinge von Dir und Deinem Tun allein das Schicksal ab der deutschen Dinge, und die Verantwortung wär’ Dein.“
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Es ist bequem, unmündig zu sein. Von anderen zu leben, sich auf andere verlassen zu können und Wettbewerbe zu scheuen. Die Wettbewerbe sind ja auch ein Teil der Freiheit, sich anzustrengen, besser zu werden. Aber da muss man auch verlieren können. Davor schrecken viele zurück. Ich habe das Verlieren schon als Bub gelernt – auf dem Fußballplatz. Sport hilft, Regeln zu lernen, erzieht zu Fairness und Toleranz.
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Mein Enkel Lenny, er wird in diesen Tagen 12, kickt in der D1-Jugend in einer Münchner Kreisklasse. Wann immer ich kann, schaue ich zu. Lenny ist mit Tunesiern, Afrikanern, Türken und Kroaten auf dem Spielfeld. Deren Eltern stehen am Rand und rufen in zig verschiedenen Sprachen: „Lauf schneller, hol dir den Ball.“ Für die Kinder ist das normal. Durch den Sport lernen sie zu siegen und verlieren, fair zu sein und sich zu integrieren. Lenny ist ein ablenkbarer Multi-Tasker, wie die meisten seiner Generation. Ich bin ein altmodischer Anhänger der Tugenden, die früher mal in den Kopfnoten festgehalten wurden: Zuverlässigkeit, Höflichkeit, Fleiß und Pünktlichkeit. Fürchterlich, wenn mir Leute die Zeit stehlen – durch Unpünktlichkeit, dummes Gerede, Redundanz. Kostbare Lebenszeit ist da weg – unwiederbringlich.
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Im Dezember bin ich 74 geworden. 44 Jahre davon war ich Chefredakteur, bis September bei „Focus“. Da ich nicht golfe oder angle, habe ich vorgesorgt und schon frühzeitig eigene Firmen gegründet, damit ich auch im Alter beschäftigt bin. Meine Neugier auf unsere spannende Welt ist meine tägliche Triebfeder. Dazu kommt mein privates Umfeld. Der Respekt in der Partnerschaft und Familie. Menschen, denen ich wichtig bin und nicht meine berufliche Position.
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In meiner Branche stört mich das zunehmende Berater-Denglisch. Da gibt's keine Vier-Augen-Gespräche mehr, sondern eye to eye talks und die Erkenntnisse danach heißen learnings. Als mir neulich ein „consulter“ seine learnings vermitteln wollte, fragte ich ihn, warum er nicht bairisch oder hochdeutsch spricht. Da hat er gelacht – und bairisch geredet.
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Bei meiner neuen Internet-Gedenkstätte habe ich aus Überzeugung gepasst. Ich wollte sie „Vergissmeinnicht“ nennen. Aber meine Partner plädierten für „stayalive“, weil sie die ganze Welt ansprechen wollen. Unser Online-Portal ist eine Art Facebook für Verstorbene mit Fotos und vielen Erinnerungsstücken. In der realen Welt kann man an Allerseelen nicht fünf Gräber in fünf Städten besuchen, in der virtuellen schon.
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In meinem Alter sind ja schon viele tot. Als begeisterter „Nachwuchs-Schauspieler“ habe ich heuer 16 Mal den Tod beim hessischen „Jedermann“ in Frankfurt gespielt. „Mit mir kannste net hannele“, sage ich in meiner Rolle. So ist es. Der Tod ist unabänderlich. Ich genieße jeden Tag.
Aufgezeichnet von Renate Schramm
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