AZ-Serie "Was mir wichtig ist": : „Los Alter, mach weiter!“

Wie sich der Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit 80 Jahren selber antreibt, was ihn umtreibt und warum er zum Fast-Vegetarier geworden ist.
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Unternehmer Karl Ludwig Schweisfurth
Hans-Günter Kaufmann Unternehmer Karl Ludwig Schweisfurth

Wie sich der Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit 80 Jahren selber antreibt, was ihn umtreibt und warum er zum Fast-Vegetarier geworden ist.

Ich bin 80. Aber mich zur Ruhe setzen? Bloß das nicht. Das Wichtigste für mich ist, dass ich am Leben noch teilhabe und in Bewegung bin – körperlich und geistig. Das fällt einem nicht vor die Füße, das muss man suchen und finden.

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Als ich mich vor sechs Jahren endgültig aus dem aktiven Geschäft der Herrmannsdorfer Landwerkstätten zurückgezogen und sie – wie sich das für einen alten Bauern gehört – an meine drei Kinder übergeben habe, überlegte ich: Was mache ich jetzt? Ich spiele nicht Golf, habe kein Interesse an Kreuzfahrten. Ich habe eine Aufgabe gesucht, in der ich meine Lebenserfahrung, ich bin erst Metzgermeister, dann Unternehmer, weiter entwickeln kann.

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So habe ich mir von meinem Sohn vier Hektar Land in Herrmannsdorf geben lassen - für die Schweine, Hühner, Gänse, Schafe… Da sind sie raus aus dem Stall, können sich verhalten, wie sie wollen. Und ich „decke ihnen den Tisch“, habe 20 verschiedene Pflanzen für sie angebaut und stelle fest, dass sie Gourmets sind. Sie wissen viel besser, als jeder Verhaltensforscher oder Computer, was ihnen schmeckt. Und wie fürsorglich sie miteinander umgehen: Die Schweine schützen das Geflügel vor Mardern und Füchsen, die Hühner picken ihnen die Parasiten aus dem Fell. Und ihr Mist bereichert den Boden.

Das ist eine Symbiose und Interaktion, wie es sie in der hochspezialisierten Landwirtschaft gar nicht mehr gibt. Für mich ist das ein ganz neuer Zugang zu dem, was wir Schöpfung nennen. Die ist mir – im Gegensatz zu den christlichen Kirchen – sehr wichtig. Bei denen dreht sich nichts um die Tiere und den Boden, sondern alles nur um den Menschen, das Ebenbild Gottes. Deshalb bin ich schon vor vielen Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten.

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In den 70ern war mir die Schöpfung allerdings im wahrsten Sinn wurscht. Da war ich Chef von „Herta“ und getrieben von der Idee: immer größer, immer schneller, immer mehr. Nicht zuletzt auf Nachfragen meiner Kinder bin ich vor 25 Jahren rausgesprungen aus dem System, das jede Moral verloren hat. Weg von den hochgezüchteten Nutztieren, die wie technische Güter produziert werden, weg von den hocheffizienten Tötungsmaschinen.

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Inzwischen gibt es nur noch fünf große Lebensmittelhändler. Die kämpfen um Marktanteile – das Mittel dafür ist der Preis. Und so sind auch die Verbraucher konditioniert auf den billigsten Preis. Für die ist ein Kotelett ein Kotelett, auch wenn es weniger als Hundefutter kostet. Kaum einer denkt darüber nach, wo es herkommt, wie das Tier gelebt hat, wie es getötet wurde. Aber da tut sich was…

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Seit ich im Sommer „Tiere essen“, das Buch von Jonathan Safran Foer über das unendliche Leid der Schlacht-Tiere gelesen habe, bin ich Fast-Vegetarier geworden. Außer daheim esse ich nirgends mehr ein Stück Fleisch, Würste, Schinken oder ein Ei. Was mich freut: Ich bin nicht der einzige Verweigerer. Die für mich so zentrale Frage, wo das Essen herkommt, beschäftigt zunehmend die Gesellschaft.

Das merken wir bei unseren Besuchern in den Werkstätten, das verfolge ich in den Zeitungen oder zuletzt bei der ARD-Themenwoche Ernährung. Ein Wertewandel nach meinem Herzen.

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Unter dem Druck von Beruf und Alltag hat es bei Jung und Alt Klick gemacht. Sie beginnen nachzudenken, worauf es wirklich ankommt im Leben. Ob materielle Dinge wichtiger sind als Partnerschaft, Familie und Freunde. Ob es wirklich das Fertigzeug aus dem Supermarkt sein muss, das meist teurer ist als Gemüse aus der Region. Allerdings auch bequemer, man muss nichts mehr zubereiten.

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„Ich würde gern aussteigen“, sagte mir neulich ein Kassierer, „"aber ich habe Kinder, Familie.“ Zugegeben, ich war damals privilegiert, hatte Geld. Aber ich denke, jeder kann Schritt für Schritt seinen Weg finden – mit Neugierde, Mut und Vorbildern. In der Wende meines Lebens bin ich mit meiner Frau in allen Ländern des Himalaya gewandert. Wir haben viele Stunden in buddhistischen Klöstern verbracht und mit allen Sinnesorganen erfahren, was da passiert. Ich bin kein Buddhist geworden, aber einen Begriff habe ich mitgenommen in mein Leben – den Begriff Achtsamkeit. Die geht bei uns im Alltag vor lauter Schuldzuweisungen oft unter. Ich habe es mir abgewöhnt, andere zu kritisieren. Ich ermutige lieber, sage meinen Enkeln und Besuchs-Kindern: „Hey, macht das mal. Ihr könnt das. Und wenn’s nötig ist, helfe ich euch gern dabei.“

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Ums Miteinander geht es uns auch in der Ehe. Meine zweite Frau und ich führen seit mehr als 30 Jahren eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Wir ziehen jeden Tag am gleichen Strang, haben immer Gesprächsstoff, kochen zusammen. Aber länger als eine halbe Stunde darf's nicht dauern. Die komplizierten Rezepte von 3-Sterne-Köchen und das Gefummle mit 27 Zutaten ersparen wir uns.

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Was ist mir noch wichtig? Ein Wort ist ein Wort – das hat bei mir höchste Priorität. Diese Zuverlässigkeit vermisse ich immer wieder bei Politikern. Ob es um die Ausbeutung der Natur geht oder um die Atomenergie. Dass die jetzt wieder zurückkommt – ich dachte, das Thema hätten wir nun wirklich abgehakt – das macht mich unendlich traurig, zieht mich runter. Aber, wenn ich dann an meine Enkelkinder denke, sage ich mir: „Los, Alter! Mach weiter so. Kümmere dich um das Leben in den Lebensmitteln.“ Meine acht Enkel sind meine größte Motivation. Ich möchte, dass sie, wenn sie 40 oder 50 sind, sich genauso an der Schönheit dieser Welt erfreuen können, wie ich das jetzt tue.

Aufgezeichnet von

Renate Schramm

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