AZ-Serie: Was mir wichtig ist: „Ich wäre fast gestorben“

Bestseller-Autor Jan Weiler ist bekannt für seinen Humor, auf den er auch imStreit mit seiner Frau Wert legt. Was kaum jemand weiß: 2003 änderte er sein Leben schlagartig
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Jan Weiler – so wie der Münchner Fotograf Hans-Günther Kaufmann ihn sieht.
Günther-Kaufmann Jan Weiler – so wie der Münchner Fotograf Hans-Günther Kaufmann ihn sieht.

Bestseller-Autor Jan Weiler ist bekannt für seinen Humor, auf den er auch imStreit mit seiner Frau Wert legt. Was kaum jemand weiß: 2003 änderte er sein Leben schlagartig

Von Jan Weller

Menschen, die mir nach einer Lesung nett guten Tag sagen und mir nicht einfach wortlos das Buch zur Unterschrift hinknallen, mag ich gern. Auf gutes Benehmen und Anstand lege ich großen Wert. Auch bei unserer Tochter (12) und unserem Sohn (8). Dass sie Anorak und Schulzeug nicht fallen und liegen lassen – und nicht während des Essens vom Tisch aufstehen. Ob das irgendwelche Leute als spießig empfinden, ist mir gleichgültig. Für mich ist das eine Frage des Respekts.

Anstand, ein einigermaßen gutes Benehmen, gibt's völlig umsonst. Es ist schichtübergreifend einfach zu lernen und funktioniert im Alltag tadellos. Wenn ich in der Bahn freundlich zu einem Schaffner bin, ist er's in der Regel auch zu mir. Ich bin das schon aus Selbstschutz, denn es macht mich regelrecht fertig, wenn mich jemand schlecht behandelt.

* * *

In meiner Ehe ist Humor – neben Vertrauen – das Wichtigste. Nicht alles ununterbrochen diskutieren, bemessen, aufrechnen . . . Mit einem Lächeln erledigen sich viele Dinge von alleine. Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die das Talent haben, ihre Frau auch im Streit zum Lachen zu bringen. Darauf bin ich sehr stolz, denn es hat uns schon viel Ärger erspart.

Das Zusammensein mit mir ist sicher nicht immer einfach. Allein mein Schreib-Rhythmus, dazu die Lesereisen. Mein Zeitplan ist bis 2013 dicht. Das beruhigt mich als Existenzängstler, andererseits geht mir mein Leben eigentlich zu schnell. Auch Dingen wie Fotos, Filmen, Musik, Fernsehen, dem Internet, überhaupt der ganzen Zukunft gibt man keine Zeit mehr, man oktruiert sie uns auf. In der Kindheit meines Vaters, er ist jetzt 73, hat's noch nicht mal überall ein Telefon gegeben. Heute besitzen wir pro Kopf der Bevölkerung an die drei Telefone, Babys eingeschlossen. Meine Tochter hat natürlich eines, mein Sohn nicht. Das gibt's bei uns zum Wechsel auf die höhere Schule.

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Mein Leben entschleunigen musste ich 2003 nach einem doppelten Darmdurchbruch. Das war Rettung in letzter Sekunde. Und dann liegt man im Bett herum, guckt aus dem Klinikfenster und denkt: „Wenn du jetzt nicht mehr da wärst, wofür wärst du eigentlich gestorben?“ Ich war damals Chefredakteur vom SZ-Magazin und wäre beinahe gestorben für ein unrhythmisch gelebtes Berufsleben. Mit schlechtem Essen, späten Konferenzen, großem Druck. Und dafür ins Gras beißen? Erst in der Reha ist mir aufgefallen, dass ich nie was für mich getan habe. Ich habe mein Leben in wechselnden Funktionen erlebt und versucht, ihnen gerecht zuwerden – als Chef, Vater, Mann, Nachbar, Freund oder Sohn. Als ich herauskam, nahm ich mir vor, das nicht mehr zu machen.

* * *

Mein erster Roman „Maria, ihm schmeckt's nicht“ ist eine Geschichte über Migration und Fremdenangst. Ich hätte das Ganze auch tragisch erzählen können, aber dann hätten die Leute das nicht gelesen. Ich will aber, dass die Leute mich lesen. Nicht nur, weil ich die Bücher verkaufen möchte und davon lebe, sondern auch, weil ich die Themen wichtig finde. Um die Aufmerksamkeit der anderen zu erhalten, muss man sie aber gut unterhalten. Auch das hat mit Anstand zu tun. Wenn jemand Geld für etwas ausgibt, was du gemacht hast und dann langweilst du ihn – das ist das Schlimmste.

* * *

Hochgradig unanständig fand ich die Reise der Guttenbergs nach Afghanistan. Geradezu obszön. Natürlich ist es ok, wenn man die Truppen da besucht, die armen Schweine, die jetzt Weihnachten nicht nach Hause konnten. Man kann aber auch Otto Waalkes hinschicken, der dann zwei Stunden Witze erzählt. Aber nein, da kriegt der Kerner ein Studio aufgebaut und dann wird PR gemacht für Guttenbergs Karriere.

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Auch Thilo Sarrazin ist auf seine Art unanständig. Als Finanzsenator in Berlin hätte er alle Möglichkeiten gehabt, etwas für Bildung und Kultur an den Brandherden dort zu tun. Stattdessen aber hat er die Finanzen saniert, indem er an der Bildung gespart hat. Anschließend schreibt er ein Buch, in dem er Genetik und Ethik verwechselt und wird mit seinem rassistischen Geschwätz steinreich.

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Was ich mir abgewöhnen möchte, ist mein gewisser undisziplinierter Hang zur Genusssucht. Ich koche gern und esse gern. Darum muss ich mich einmal im Jahr zwei, drei Monate enorm disziplinieren, um ein bisschen abzunehmen. Im Gegensatz zu meinem Schwager. Der ist Tänzer, hat einen Körperfettanteil von circa einem Prozent, kann essen, was er will und sieht fantastisch aus. Bei einer Hochzeit in Italien hat er 15 Gänge gefuttert und dann noch die Desserts der Kinder. Schweinerei!

Aufgezeichnet von Renate Schramm

ZUR PERSON

Er wohnt am Starnberger See, ist Nicht- Schwimmer, Nicht-Skifahrer – und italienisch, wie die Familie seiner Frau, spricht er auch nicht. „Unzulänglichkeiten zu haben, ist sehr inspirierend“, sagt Jan Weiler (43). „Ohne sie gäbe es nichts, worüber ich schreiben könnte.“ Das wollte der gebürtige Düsseldorfer schon von klein auf. Er wurde Werbetexter, Journalisten, Chefredakteur des SZ-Magazins und schrieb 2003 seinen ersten Bestseller „Maria, ihm schmeckt's nicht“. Ihm schmeckt's in der „Vinoteca Marcipane“, die er seit 2007 mit zwei Freunden in Münsing betreibt. Hauptberuflich unterhält der zweifache Vater als freier Autor sein Millionen-Publikum mit Romanen, Hörbüchern und Kolumnen, die er auch im Internet vermarktet – auf www.janweiler.de

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